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Archiv-Artikel

Sterben im White Cube

Künstlerische Lebenswege ins frei gewählte Nichts. Kulinarisch, farblos ist die Bühne, zäh vergeht die Zeit. Armin Holz inszeniert Arthur Schnitzlers „Der einsame Weg“ am Bochumer Schauspielhaus

VON PETER ORTMANN

Das kleine Gärtchen aus der Regieanweisung fehlt. Die Holzveranda auch. Dafür steht auf der Bühne ein mächtiger Paravent aus glänzendem Gold, ein abgestorbener Baum und ein schwarzer Flügel auf weißer Fläche. Diese Bühne ist ein Gefängnis. Wie das Leben auch. Denn alles hat scheinbar Grenzen. Als Nicolai Kinski sich als Felix im ersten Akt von Arthur Schnitzlers „Der einsame Weg“ über diese Beschränkung beschwert, antwortet seine Schwester Johanna: „Weiter wie diese werden sie jedenfalls sein“ und schaut auf die Rampe der großen Bühne des Bochumer Schauspielhauses.

Damit klärt sich nach Minuten die Intention von Regisseur Armin Holz. Es geht um scheinbar künstlerische Lebensentwürfe und deren Auswirkungen. Bereits hinter den Masken der so genannten Boheme des vergangenen Jahrhunderts tummelte sich nicht Genie, das Kunst und Welt weiter bringen will, sondern Eitelkeit und Niedertracht.

Die Protagonisten leben in einem schneeweißen, designten Bühnenkubus ihren gekünstelten Selbstbetrug. Hinter verweigerter Vergangenheitsbewältigung lauern seelische Eruptionen, die Holz plötzlich wie Geysire aus der dahinfließenden Selbstgefälligkeit entladen lässt. Dann haben die Protagonisten scheinbar wieder alles unter Kontrolle und ihr einsamer Weg führt weiter. Der Maler Julian Fichtner (August Zirner) hat einst für seine Freiheit als Künstler über Nacht seine Geliebte Gabriele (Veronika Bayer) verlassen. Nun kehrt er zurück, um seinen Sohn kennen zu lernen, der ahnungslos beim Akademieprofessor Wegrat aufwuchs, den Gabriele geheiratet hat. Kurz vor ihrem Tod hat sie die Lüge offenbart, doch der ehemalige Malerstar Fichtner muss am Ende auf Felix‘ Vaterliebe verzichten.

Darum gruppieren sich weitere Biografien, die Konsequenzen der Vergangenheit nicht tragen wollen. Wie Stephan von Sala (Markus Boysen), ein Poet ohne Rang, aber ein Stichwortgeber mit Geld, der am Ende seines ausschweifenden Lebens für eine wahrhaftige Beziehung mit Johanna (Claude De Demo), der jungen Tochter Wegrats, nicht mehr taugt. Beide nehmen sich das Leben. Sie aus Liebe, er aus Eitelkeit. So schwinden die Personen aus dem White Cube, die Avantgarde entpuppt sich als bürgerliche Farce. Zurück bleiben der Kultur-Beamte Wegrat, der erkennt, wie wichtig sein Sohn ist und Fichtner, der als wahrer Vater den Sohn verlor und nun einsam dem Alter entgegen sieht, ohne die gemachten Fehler sühnen zu können.

Armin Holz hat mit dieser Inszenierung auch dem aktuellen Kunstbetrieb den Spiegel vorgehalten. „Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug“. Das Schnitzler-Zitat ist Programm des dreieinhalbstündigen Reigens mit ausgezeichneten Schauspielern. „Ihre Zersetzung der kulturell-konventionellen Sicherheiten berührte mich mit einer unheimlichen Vertrautheit“, schrieb Sigmund Freud Anfang des 20. Jahrhunderts an Schnitzler.

Dessen Kulturpessimismus und die eigentliche Einsamkeit der selbst ernannten großen Künstler wird durch die zähe Inszenierung mit leiser Klavierbegleitung und den spärlichen Requisiten noch verstärkt und muss auch vom Zuschauer ausgehalten werden. Das taten die meisten und beklatschten die Premiere ausgiebig. Armin Holz genoss das sichtlich.

29. Mai, 19:30 Uhr Karten: 0234 33 33 5555