KURZKRITIK: DER PROSABAND „AUGENARZT UND UHRMACHER“ : Staunen und Zweifeln
Wer hat eigentlich noch die Zeit, all jene ausufernden und zu allem Überfluss meist nach den Regeln eines altbackenen Realismus verfassten Romane zu lesen, die den Buchmarkt überschwemmen? Wer sich das fragt, sollte zum Buch „Augenarzt und Uhrmacher“ greifen.
Darin versammelt die aus Korea kommende, in Hamburg lebende Autorin und Künstlerin Kyung-Hwa Choi-Ahoi schreibend und zeichnend, was ihr die Tage so zugetragen haben. Am 13. 3. 2001 um 02:58 Uhr etwa: „Jeder Tag hat seine Farbe, jeder Tag hat seinen Duft, jeder Tag hat sein Gefühl, jeder Tag hat sein Geräusch, jeder Tag hat seinen eigenwilligen launischen Appetit, jeder Tag hat die eigensinnige Berührung. Jeder Tag hat etwas anderes.“ Choi-Ahois an Klein-Prosa-Künstlern wie Robert Walser geschulte Form will genau das: für den Alltag jene Aufmerksamkeit aufbringen, der man einmal nachgesagt hat, sie sei das natürliche Gebet der Seele.
Auch dieser Satz steht in dem Büchlein: „Ich sei ein Glückspilz“. Das ist reine Poesie der Aussparung, die das Wesentliche im Schweigen schwingen lässt, die Freude darüber, als glücklich zu gelten, und die Frage, ob man es sei. So ist das Buch auch ein Lehrmeister. Denn staunen und zweifeln, viel mehr lässt sich im Leben nicht erreichen. MAP
Kyung-Hwa Choi-Ahoi: Augenarzt und Uhrmacher, 112 Seiten, 12 Euro