Unbekannter Schatz vom alten Meister

Ein Nachschlag zum Mozartjahr in der Düsseldorfer Tonhalle: Im Rahmen der WDR-3-Reihe „Alte Musik im Konzert“ wird die vergessene Minioper „Demofoonte“ uraufgeführt – ein edler Wettstreit unter drei Sopranistinnen

„Am meisten legen ich Ihnen den Ausdruck ans Herz, gut über den Sinn und die Kraft der Worte nachzudenken, sich ernstlich in die Stimmung und die Lage der Andromeda zu versetzen und sich vorzustellen, sie selbst zu sein!“ Diese Worte stammen nicht aus einem Lehrbuch für method acting, sondern aus einem Brief, den der 22-jährige Mozart anno 1778 aus Paris an Aloysia Weber schrieb. Andromeda ist jedoch keineswegs eine Heldin aus einer seiner Opern, sie herrscht lediglich über eine einzige Szene mit anschließender Bravourarie. Doch ganz offensichtlich wollte Mozart diese eben nicht als vokale Zirkusnummer, sondern als kleines theatrales Drama, sozusagen als Minioper verstanden wissen.

Solche später Konzertarien genannten Miniopern komponierte Mozart zuhauf. Sie dienten auch als musikalische Visitenkarten: dem aufstrebenden Komponisten ebenso wie den jeweiligen Sängerinnen. Das Libretto zu „Demofoonte“, geschrieben vom kaiserlichen Hofpoeten Pietro Metastasio, wurde über 60 Mal vertont, und auch Mozart muss es längere Zeit mit sich herumgetragen haben. Er soll in Paris sogar gehofft haben, einen Kompositionsauftrag zur erneuten Vertonung des beliebten Stoffes zu erhaschen. Es blieb jedoch bei der Hoffnung – und bei immerhin sechseinhalb Arien, die Mozart auf diesen Text komponierte. Warum ausgerechnet dieses Fragment im Salzburger Mozart-Marathon des letzten Sommers vergessen wurde, ist rätselhaft. Dabei sind die einzelnen Arien bekannt und längst gedruckt, während ihr inhaltlicher Zusammenhang wohl offenbar übersehen wurde.

Der WDR-Dramaturgin Sabine Radermacher aber hat das verkannte Mozart-Fragment keine Ruhe gelassen. Aus den verstreuten Arien baute sie einen Opernabend, fütterte das Ganze mit zeitlich benachbarter Instrumentalmusik an und ließ den Sprecher Matthias Habich die verwickelte Handlung erzählen. Der feierliche Titel „Uraufführung“ war freilich ganz bewusst mit einem ironischen Unterton zu verstehen, man weiß schließlich sehr wohl, dass die Musikgeschichte nach diesem konzertanten Abend in der Düsseldorfer Tonhalle nicht umgeschrieben werden muss. Und doch entwickelte das Pasticcio veritable Opernqualitäten in schönster „Seria“-Manier. Mozart war bereits als Teenager ein reifes Genie theatraler Affekte und verstand sich darauf, virtuose Sängerinnen ins beste Licht zu rücken.

So kam es denn auch in der Tonhalle zum edlen Wettstreit unter drei Sopranistinnen: Eleonore Maguerre als „Timante“ erntete laute Bravi und zeigte sich absolut schwindelfrei trotz halsbrecherischer Koloraturen in Gipfellagen. Sunhae Im als „Dircea“ betörte mit glockigen Pianotönen, während Netta Or als „Creusa“ satte, geerdete Töne beisteuerte. Der Schauspieler Matthias Habich adelte seine kurzen Texte mit rauchigem Organ und nachdenklicher Würde.

Auf den alten Instrumenten der gut aufgelegten Cappella Coloniensis klang der junge Wolfgang Amadeus Mozart farbig, luftig und ungemein frisch, Bruno Weil am Pult sorgte für spannende Tempi und dramatischen Zug. Überraschend stimmig fügten sich die Instrumentalsätze aus frühen Sinfonien und Kassationen ein, gerade so, als wäre überhaupt alle Musik von Mozart eben doch irgendwie Theatermusik. REGINE MÜLLER