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Archiv-Artikel

Boomende Läden, wachsende Verdrängung

HANDEL Steigende Umsätze, aber auch Selbstkritik – eine Branche diskutiert über Ausbeutung, wachsenden Konkurrenzdruck und Zukunftsprojekte. Der Mindestlohn setzt viele Betriebe unter Zugzwang

Die Bio-Branche

■ In Niedersachsen gab es 2012 nach Angaben des Deutschen Bauernverbandes 1.420 ökologisch arbeitende landwirtschaftliche Betriebe. Sie nutzten 2,9 Prozent der Anbaufläche. Das ist der niedrigste Anteil aller Bundesländer.

■ Schleswig-Holstein ist mit einem Anteil von 3,6 Prozent Vorletzter. Dort gibt es 503 Öko-Betriebe.

■ Von 13.000 Bio-Verarbeitungsbetrieben bundesweit kommen rund 1.200 aus Niedersachsen. ■ Rund 2.500 Naturkostfachgeschäfte gibt es in Deutschland, davon sind 500 Filialen.  JOG

Mehr als 100 neue Bioläden sind im vergangenen Jahr in Deutschland eröffnet worden, die Umsatzzuwächse der Branche sind zweistellig, vor allem vegane Produkte sind in Reformhäusern und Bio-Fachmärkten stark gefragt. Im vergangenen Monat traf sich die Branche auf der Fachmesse Bio Nord in Hannover. Dabei wurde deutlich: Die Kritik an den Geschäftspraktiken von Bio-Ketten wie Dennree oder Alnatura, die in Großstädten direkt vor der Tür kleiner Bioläden große Filialen aufmachen, wächst.

In der Zeitschrift „Biohandel“ klagt der Bioladenbesitzer Klaus Grundner: „Ausbeutung ist im deutschen Bio-Handel an der Tagesordnung. Es gibt viel zu viele Läden und Firmen, die unter acht Euro Stundenlohn bezahlen, und das sind meist nicht die kleinen.“

Christian Uekermann, Inhaber des Naturkostladens „Kornstube“ in Celle sagt dagegen: „Wenn der Mindestlohn kommt, werden wohl einige kleinere Läden schließen. Wir werden unseren Umsatz erhöhen müssen, um angemessene Löhne zahlen zu können.“ Uekermann bietet auf 140 Quadratmetern rund 1.800 Artikel an. „Tiefkühlkost nimmt stark zu, auch Fertiggerichte sind zunehmend gefragt“, sagt der 59-jährige gelernte Bauingenieur, der drei Mitarbeiter beschäftigt.

Seine Kundschaft ist gemischt. „Zehn Prozent kauft in großen Mengen bei uns ein, sie leben vermutlich überwiegend von Bio-Ware“, erzählt er. Es gebe aber auch Hartz-IV-Empfänger und andere Menschen mit wenig Geld, die auf Angebote achteten. „Bei uns ist die Auswahl viel größer als in einem Discounter, außerdem können wir Fragen beantworten und beraten, das schätzen viele Menschen“, sagt Uekermann.

Beim Großhändler Naturkost Elkershausen aus Göttingen, der Inhaber geführte Läden wie die Celler Kornstube mit Ware beliefert, erwirtschafteten 160 Mitarbeiter im vergangenen Jahr einen Umsatz von 50 Millionen Euro, Tendenz steigend. Den Vorwurf, dass nur noch Wachstum zählt, weist Geschäftsführer Thomas Hölscher zurück: Die Kunden wollten immer mehr über die Hintergründe der Lebensmittelproduktion wissen. „Mit unserer Aktion Bruderhahn sind wir auf große Resonanz gestoßen“, sagt er. „Der Verbraucher honoriert das und zahlt mehr.“

Unter dem Motto „Rette meinen Bruder“ zahlen Kunden pro Elkershausen-Ei vier Cent mehr – die werden zur Aufzucht von Brudertieren verwendet, deren Schwestern für die Projektteilnehmer wie Elkershausen Eier legen. Bisher werden Millionen von Bruder-Küken nach dem Schlüpfen getötet, da sie als Masttiere den heutigen Masthähnchen unterlegen sind. Das nächste Projekt von Naturkost Elkershausen ist der Anbau von ökologischem Saatgut, um dem Monopol der Saatguthersteller etwas entgegenzusetzen.

Lohngerechtigkeit, Vermarktung über den Fachhandel, Engagement für Umweltschutz und gegen Gentechnik, Wachstum ja, aber maßvoll – das sind einige Grundpositionen von acht Bio-Unternehmen, die als Pioniere der Branche zum Teil bereits in den 70er-Jahren gestartet sind. Sie präsentierten sich auf der Messe gemeinsam unter dem Motto „Wertemarken. Bio allein ist nicht genug“.

Mit dabei ist die Bohlsener Mühle aus der Nähe von Uelzen, bei der 190 Menschen mehr als 1.000 Produkte aus Bio-Getreide fertigen. „Wir zahlen mindestens 9,50 Euro die Stunde, wir engagieren uns mit der von uns gegründeten Akademie in der Region. Aber wir müssen zugleich unseren Umsatz von 30 Millionen Euro pro Jahr steigern, um das nötige Geld für die Investition in eine neue, größere Mühle zu verdienen. Nur so bleiben wir konkurrenzfähig“, sagt Anette Makus, die für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist.  JOACHIM GÖRES