Künstler brauchen Ateliers

Berlins Künstler und Künstlerinnen kehren der Stadt den Rücken. Nicht heute. Aber morgen schon werden sie abwandern, wenn erst die ganzen Unterlassungssünden des Senats in Sachen Stadtentwicklung, etwa bei der Wohnungsbauförderung, zum Tragen kommen und Berlin so teuer sein wird wie jede x-beliebige andere Weltstadt.

„Welche Szenarien müssen eintreten, damit Sie Berlin verlassen?“ lautete eine Frage der aktuellen Studie zur Situation Berliner KünstlerInnen, die das Institut für Strategieentwicklung (IFSE) am Dienstag in den Räumen der Fotogalerie c/o Berlin vorstellte. Anlass ist die von Berlins Kultursenator Klaus Wowereit – zugleich auch Regierender Bürgermeister – initiierte Ausstellung „Based in Berlin“ (s. taz vom 18.  6.). Als sogenannte Leistungsschau der hiesigen Künstlerschaft soll sie dem Anspruch der Stadt Nachdruck verleihen, einer der weltweit wichtigsten Produktionsstandorte für Gegenwartskunst zu sein.

Die Antwort der Befragten war eindeutig: steigende Mieten und der Verlust für Künstler interessanter Räumlichkeiten. Kein Wunder also, dass die KünstlerInnen schon heute dem Stadtteil Prenzlauer Berg den Rücken kehren. Umgekehrt gilt: Berlins Anziehungskraft liegt in einer derzeit guten, dezentralen Infrastruktur für die künstlerische Produktion. Noch finden Künstler günstige Ateliers und gute Ausstellungsmöglichkeiten in Projekträumen und Offspaces. Bei einem „Berliner Entwicklungsplan zur Gegenwartskunst“, wie ihn IFSE-Geschäftsführer Hergen Wöbken als zentrale Herausforderung der Standortpolitik sieht, geht es also vor allem auch um die öffentliche Infrastrukturpolitik.

Und, das ist ein zweites Thema, das sich unter der Hand aus der Erhebung ergibt: Ziel eines solchen Entwicklungsplans muss Geschlechtergerechtigkeit sein. Denn sowohl im Bereich des Einkommens wie im Bereich der Ausstellungen zeigt sich eine schockierende Kluft zwischen Männern und Frauen. So hatten immerhin 46 Prozent der Männer mehr als drei Einzelausstellungen in den vergangenen drei Jahren, während das Gleiche nur für 28 Prozent der Frauen gilt. Entsprechend beziehen 19,7 Prozent der Männer mehr als die Hälfte ihres Einkommens aus dem Verkauf ihrer Kunstwerke, während es bei den Frauen nur 9,7 Prozent sind.

Das ist alarmierend, weil in der jungen Generation der „emerging artists“ die Frauen in der Überzahl sind. Ihre Zukunft sieht nicht rosig aus – bei einem Durchschnittseinkommen der Berliner KünstlerInnen von knapp 12.000 Euro. Die Künstlerinnen mit dem kleinen i werden sich für ihre Zukunft einiges einfallen lassen müssen. Mehr noch als für ihre Kollegen sind für sie die Offspaces und Projekt- und Kunsträume überlebenswichtig. Sie stehen mit 48,7 Prozent an der Spitze der Ausstellungsmöglichkeiten. Das Ende der Berliner Kunstmesse Art Forum, auch das lässt sich der Studie entnehmen, ist für die Berliner KünstlerInnen ein gravierender Verlust, insofern sie dort mehr als anderswo vertreten waren und Messen für den Verkauf eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen.BRIGITTE WERNEBURG