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Archiv-Artikel

„Das Dazwischen ist ein eigener Ort“

Erci Ergün

Das, was immer als „dazwischen sein“ beschrieben wird, das hat für mich absolut nichts Negatives mehr. Es ist etwas Ganzes – ein eigener Ort. Ich bin Deutschtürke – in genau dieser Reihenfolge. Und Berliner für immer

„Fast an allem bin ich schuld, man nennt mich liebevoll Kanake“ – so fröhlich besang der Rapper Erci E. 1999 in seinem Song „Weil ich ein Türke bin“ die Diskriminierung. Seine größten Erfolge feierte er Mitte der Neunzigerjahre mit der Gruppe Cartel, die es mit über einer Million verkaufter Titel zu Platin brachte – in der Türkei, wo der Türkisch-Rap aus Deutschland wahre Begeisterungsstürme auslöste. Auch mit seinen Solo-Alben „Sohbet“ (1997) und „Bin Arabama“ (2004) war Erci Ergün in der Türkei erfolgreicher als in Deutschland. 2005 beschloss der 33-Jährige, seiner Heimat Berlin den Rücken zu kehren und in die Heimat seiner Eltern, die Türkei, überzusiedeln: auf der Suche nach seinen Wurzeln. Nun ist er wieder da.

INTERVIEW ALKE WIERTH

Taz: Herr Ergün, vor anderthalb Jahren sind Sie auf der Suche nach Heimat nach Istanbul gezogen. Nun leben Sie wieder in Berlin. Wo ist Ihr Zuhause?

Erci Ergün: Zuhause ist für mich Deutschland und an erster Stelle Berlin. Hier bin ich geboren und groß geworden. Ich gehöre hierher.

Wie entstand Ihre Idee, in die Türkei zu gehen?

Ich habe die Stimmung hier zunehmend als deprimierend empfunden. Das hat mich lustlos gemacht – an meinem Job, am Leben. Ich wusste nicht mehr, was für Musik ich machen, wo das Ganze hingehen soll. Es entstand das Gefühl, dass ich zu meinen Wurzeln zurückmüsste. Ich wollte herausfinden, wo ich herkomme, um dann herauszufinden, wo ich hingehöre.

Welchen Bezug hatten Sie bis dahin zur Türkei?

Den aller „Gastarbeiterkinder“: Das war der alljährliche Urlaub dort inklusive Besuchen bei der Familie. Etwas besser kennengelernt habe ich das Land, als wir Mitte der 90er mit der Gruppe Cartel großen Erfolg in der Türkei hatten.

Cartel war dort unglaublich populär – Ihre Auftritte haben ganze Fußballstadien gefüllt. Haben Sie sich damals in der Türkei zu Hause gefühlt?

Kaum. Für alle in der Gruppe war das unser Urlaubs- und Herkunftsland, mehr nicht. Das Cartel-Album war von Deutschtürken für Deutschtürken gemacht. Dass es in der Türkei erscheint, wussten wir nicht, und dass es so ein Erfolg werden würde, konnte keiner ahnen. Wir wollten einfach, dass es türkischsprachigen Rap gibt. Das gab es bis dahin nicht.

Ticken denn Deutschtürken anders als Türkeitürken?

Sehr anders. Wenn man hier aufwächst, lernt man eine große kulturelle Vielfalt kennen. Das bereichert einen ungemein. Die Menschen in der Türkei, die Jugendlichen, sind meist nicht viel in der Welt herumgekommen. Sie kennen sich in ihrer eigenen Kultur, in ihrem Land gut aus. Aber sie können sich die Lebens- und Denkweise im Ausland nicht vorstellen.

Versuchen Sie gerade den Begriff „nationalistisch“ zu vermeiden?

Nein. Die Türken sind sehr heimatverbunden und stolz, das ist richtig. Aber sie meckern auch viel und gerne über ihr Land. Wenn man dazu nationalistisch sagt und wenn man es auch noch auf Deutsch sagt, verbindet man damit Dinge, die nicht gemeint sind. Ich rede einfach von einem Mangel an Möglichkeiten: Ich bin schon als Kind mit meiner Fußballmannschaft viel herumgekommen. Mit der Schule sind wir ins Ausland gefahren. So etwas ist sehr wichtig, um zu erkennen, worin die Unterschiede zwischen dir und anderen bestehen: was Dein Türkisch- oder Deutschsein ausmacht. Aber solche Erfahrungen können in der Türkei nur wenige machen.

Es gibt seit einigen Jahren geradezu eine „Rückkehrwelle“ unter Türkeistämmigen Ihrer Generation. Wie kommt das?

Man kann in Deutschland sehr leicht das Gefühl haben, nicht gebraucht zu werden. Das Schlimmste ist, dass man als junger Mensch hier kaum Chancen hat. Das gilt für alle, die hier leben, auch für die Deutschen. Und als jemand, der anderswoher kommt, ist man natürlich schnell bei dem Gedanken zurückzukehren. Auch viele Deutsche wandern ja aus. Aber wenn du Ausländer bist, gibt es immer noch ein paar Gründe mehr, zu gehen. Das ist ganz klar.

Wie war es für Sie, in der Türkei anzukommen?

Es war toll. Ich hatte Zeit, mich um all das zu kümmern, was mir wichtig war.

Zum Beispiel?

Meine Familie dort mal richtig kennenzulernen. Das hat mir viel über mich selbst beigebracht.

Was denn?

Ich konnte erkennen, was Deutschland aus mir gemacht hat. Ich meine das ganz positiv: Man ist entspannter, weil man aus einem Land kommt, wo viele Sachen freier gelebt werden können.

Das ist ja ein richtiges Kompliment! Es würden wohl nur wenige Türken die Deutschen als entspannt bezeichnen.

Ich meine damit, dass hier alles geregelt ist, du weißt einfach, wo es langgeht. Und in der Türkei gelten andere Denkmuster, teilweise sehr traditionelle. Wer sich außerhalb dieser Denkmuster bewegen will, kann das eigentlich nur in bestimmten Kreisen in Istanbul tun.

Dann ist die Suche nach Heimat in der Türkei gescheitert?

Nein, das sehe ich nicht so. Ich hatte so schöne Momente dort – schon dafür hat es sich gelohnt.

Welche Momente waren das?

Die Menschen lassen dich mehr spüren, dass sie dich mögen. Das erlebst du in Deutschland nicht. Die Leute sind hier vorsichtiger, sogar mit Liebesbekundungen geiziger. Dass lässt die Menschen sich einsam fühlen. In der Türkei dagegen wird man mit Nettigkeiten, mit Zusammenhalt überhäuft.

Was hat Sie bewogen, zurückzukommen?

Es gab zwei Gründe: Zum einen habe ich erst durch mein Weggehen feststellen können, wie sehr ich mit der Lebensweise und den Menschen hier verbunden bin. Diesen Umstand hatte ich vielleicht ein bisschen unterschätzt. Aber um das herauszufinden, bin ich ja auch gegangen. Außerdem konnte ich meine beruflichen Pläne nicht umsetzen. Der Musikmarkt in der Türkei ist am Boden. Es werden keine CDs mehr verkauft. MP3 gibt es auch dort, und außerdem Raubkopien an jeder Straßenecke. Meine Plattenfirma hatte nicht mehr die Möglichkeit, unsere Ideen zu verwirklichen.

Wie gefällt Ihnen denn die türkische Hiphop-Szene?

Die Soundqualität und die Reime werden besser, aber es ist immer noch nachgeahmt, nicht frei und eigenständig. Die Sehnsucht nach Hiphop ist da, aber es fehlt das Verständnis dafür, was Hiphop bedeutet.

Was hat sich für Sie in Deutschland verändert, während Sie weg waren?

Viele Leute sind härter, aber auch unglücklicher geworden. Alle fragen sich, wo es hingehen soll. Selbst in den Gesichtern derjenigen, die früher so getan haben, als hätten sie Durchblick, sieht man jetzt dieses Fragezeichen. Und es gibt diesen Trend zu immer härteren Texten. Je brutaler seine Texte sind, desto mehr verkauft einer. Das ist für mich aber nicht der Kern von Hiphop.

Was bedeutet Hiphop für Sie?

Für mich ist er Kunst: tanzen, rappen, DJs. Es ging ja früher beim Hiphop genau darum, dass die Gewalt aufhören sollte dort in New York, wo alles angefangen hat. Aber seit die Musikindustrie die großen Verkäufe mit Sex und Gewalt gewittert hat, ist das weg. Heute erzählt mir der Rapper von seinen 20 halbnackten Frauen, seinen Waffen und seinem Ferrari. Wenn das Hiphop ist, bin ich nicht mehr Hiphop. Und die meisten aus meiner Generation denken so. Die machen diese Geschichten nicht mit.

Die Jüngeren aber schon.

Ja, und plötzlich siehst du dann 13-Jährige, die nichts im Kopf haben, außer dass sie cool sein, hart sein und am besten ein Messer dabei haben müssen. Du nimmst doch in dem Alter alles ernst, was dein Idol dir einredet! Als wir mit Cartel den großen Erfolg hatten, habe ich begriffen, wie mächtig Musik ist. Plötzlich rappen Millionen Jugendliche deine Texte. Und dann kapierst du: Es ist ja unglaublich wichtig, was du schreibst. Das erreicht diesen Menschen, das geht in sein Gehirn und wirkt da. Na dann weiß ich doch Bescheid!

Was bewirkt das denn?

Dieser Straßengangster-Mist richtet Schaden in den Köpfen der Jugendlichen an. Und ich glaube, deren Verwirrtheit ist derzeit größer denn je. Aus allen Medien – Musik, Filme, Computerspiele, Internet – werden sie voll gebombt mit schwachsinnigem sexistischem und gewaltverherrlichendem Zeug. Viele kommen doch überhaupt nicht mehr klar. Die sind froh, wenn sie noch irgendein Leben auf die Reihe kriegen. Diese Kids haben einen weiten Weg vor sich, weil sie sich so weit von einigen wichtigen Wahrheiten entfernt haben.

Was für Wahrheiten?

Da hab ich selbst noch so viel zu lernen. Aber dass das Leben nicht leicht ist, nirgendwo, und dass es trotzdem besser ist, Gutes zu tun statt die Schwachen zu hauen, das muss man den Kindern doch früh genug beibringen. Selbst wenn ein Kind nicht wirklich zuhört, kommt die Zeit, wo es sich daran zurückerinnert und die Bedeutung begreift.

Haben Ihnen das Ihre Eltern beigebracht?

Natürlich hat das was mit dem Elternhaus zun tun, dass man gewisse Grundsätze mitbekommt. Ich habe so mit 25, 26 Jahren mit der Suche nach dem richtigen Leben angefangen. Ich bin überzeugt davon, dass das auch etwas damit zu tun hat, dass ich hier als Türke aufgewachsen bin. Dann erlebt man Unterschiede, im Verhalten, in den Urteilen, und man fragt sich: Ja, was ist denn nun richtig? Und dann fängt man an zu suchen und stellt fest, dass das mit Nationalität nichts zu tun hat. Dass es Wahrheiten gibt, die generell gültig sind. Und man begreift, dass solche Wahrheiten oder Grundregeln nichts Einengendes, sondern etwas Befreiendes sind.

Haben Sie auch aus Ihrer zweimaligen Rückkehr gelernt?

Ja, vor allem, dass es in Wahrheit kein Zurück gibt. Ich fand es schade, das ich in der Türkei kein Zuhause gefunden habe. Aber da kann man nichts machen. Wenn du aus einem Land kommst, wo du gelernt hast, dass schwarz schwarz ist, dann fällt es dir schwer, in einem Land zu leben, wo man es dir als grau verkaufen will. Das Positive ist: Ich hatte Fragen, ich habe gerätselt, was ich tun soll, und ich habe die Antworten gefunden. Deswegen bin ich ein glücklicherer, kompletterer, ausgeglichenerer Mensch als vorher.

Ein positives Resümee.

Die letzten zwei Jahre waren ziemlich anstrengend, aber ich bin froh, dass ich diese Erfahrung gemacht habe, und anders hätte ich sie nicht machen können. Ich habe gelernt, dass Vielfalt etwas ganz Positives ist. Ich habe auch begriffen, dass die Art und Weise, wie Menschen sind, viel weniger mit ihrer Nationalität als mit den Voraussetzungen zu tun hat, unter denen sie leben. Und ich habe gelernt, mit meiner eigenen Position als Deutschtürke vollkommen zufrieden zu sein. Das, was immer als „dazwischen sein“ beschrieben wird, das hat für mich absolut nichts Negatives mehr. Es ist etwas Ganzes – ein eigener Ort. Ich bin Deutschtürke – in genau dieser Reihenfolge. Und Berliner für immer.

Welche Pläne haben Sie nun?

Ich habe mit einem Freund zusammen angefangen, ein Album aufzunehmen. Demnächst kommt die erste Single mit Video.