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Archiv-Artikel

Expeditionen in den Kühlschrank

Kochen ohne feste Regularien: Ursula Heinzelmann nimmt Abschied vom „Man nehme“

Die Flut an Kochliteratur ist kaum noch zu überblicken – und leider endet der Blick der AutorInnen oft bereits am sprichwörtlichen Tellerrand. Bei aller Banalität verwundert kaum, dass die wenigen ernst zu nehmenden Titel nicht auf Marketing, Food-Design und Studiofotos bauen, sondern auf ein sicheres Gespür für Sprache und Kochen. Einer der neueren Meilensteine ist Birgit Vanderbekes „Schmeckt’s? Kochen ohne Tabu“ (S. Fischer Verlag, 2004), weil es der Schriftstellerin gelingt, die Sinnlichkeit des Kochens und Genießens im Text präsent werden zu lassen. Die Ironie und Wachheit, mit der sie die Rezepte „großer“ Koch-Männer wie Witzigmann und Escoffier entzaubert und ihnen selbstbewusst die eigene Kreativität entgegenstellt, machen die Lektüre zum Genuss.

Mit „Erlebnis Kochen“ hat jetzt die in Berlin lebende Autorin Ursula Heinzelmann ein pointiertes Buch über kreatives Kochen geschrieben, das ermutigen will, sich vom Diktat der Rezepte, Ratgeber und kochenden Promis zu befreien. „Die Küche ist kein Fernsehstudio“, stellt sie klar, und: „Mein Esstisch ist weder ein Restaurant, noch bin ich – glücklicherweise! – ein Starkoch mit einer ganzen Brigade.“ Ursula Heinzelmann besitzt eine umfassende kulinarische Kompetenz, der ihre Liebe zur Einfachheit und ihr erfrischend nüchterner Blick keinesfalls im Wege stehen. Hinzu kommt ein spielerischer Pragmatismus, mit dem sie ihre alltäglichen Erfahrungen beim Einkaufen, Vorbereiten, Kochen, Backen und Genießen anschaulich schildert. Kreatives Kochen ist bei dieser Autorin innere Haltung und essenzielles Erleben zugleich. Der dualen Ja-nein-Logik vieler Kochbücher, mit ihrem „Tu dies“ und „Lass das“ setzt Ursula Heinzelmann ganz andere Imperative entgegen: Frei kochen! Den Kühlschrank erforschen! Entspannt einkaufen! Improvisation!

Doch die Aufforderung zur Freiheit bleibt letztlich ebenso in der Dualität gefangen. So findet man die Wendung „Es gilt“ häufig im Buch, dessen Struktur paradoxerweise bisweilen an jene Rezeptbücher erinnert, die es doch eigentlich überwinden will („Man nehme“). Aber Geschmack und kreatives Kochen folgen nicht dem Zwang, eher einer mehrwertigen Logik. In der Komplexität und Subtilität zeigt sich das Charakteristische einer Speise. Entscheidend beim kreativen Kochen sind deshalb Wachsamkeit und Geistesgegenwart, ist das Gespür für den entscheidenden Moment, nicht das Befolgen einer Methode – selbst dann nicht, wenn sie die Freiheit proklamiert.

TILL EHRLICH

Ursula Heinzelmann: „Erlebnis Kochen. Manifest für eine Küche ohne Rezept“. Scherz-Verlag, Frankfurt am Main 2007, 224 S., 18,90 Euro