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Archiv-Artikel

Freies Assoziieren zu dritt

ELEKTRONIK In der Volksbühne traf die Synthesizer-Pionierin Suzanne Ciani auf das junge Duo Neotantrik

Da sage noch einer, abstrakte Synthesizerklänge seien eine brotlose Kunst: 1974 gründete die US-Amerikanerin Suzanne Ciani mit gerade einmal 28 Jahren ihre Firma Ciani/Musica, um elektronische Jingles für Firmen wie Atari oder Coca-Cola zu entwerfen. Schon bald konnte sie sich vor Aufträgen nicht mehr retten. Ihre eigene Musik pflegte sie parallel zu den Auftragsarbeiten. Noch an der Universität Berkeley hatte die studierte Komponistin den Synthesizerpionier Don Buchla kennengelernt und mit dessen Modularsynthesizern zu experimentieren begonnen – mit der passenden Geschäftsidee dazu.

Einen Apparat aus dem Hause Buchla bediente Ciani auch am Freitag in der Volksbühne, wo man Gelegenheit hatte, die hierzulande weitgehend unbekannte Musikerin im Konzert zu erleben. Ihren Auftritt bestritt sie mit dem jungen Elektronik-Duo Neotantrik, bestehend aus Sean Canty vom britischen Hexenmusik-Projekt Demdike Stare und Andy Votel, dem Betreiber des Labels Finders Keepers. Die Konstellation war nicht zufällig gewählt: Bei Finders Keepers erschien vor zwei Jahren eine Zusammenstellung mit kommerzieller und nichtkommerzieller elektronischer Musik aus der frühen Phase Cianis.

Eine Nähe zu Neotantrik, als „esoterische Musikforscher“ angekündigt, könnte zudem darin liegen, dass Ciani in den achtziger Jahren begonnen hat, Alben mit New-Age-Musik zu veröffentlichen. Von derlei Neigungen war im Konzert erfreulicherweise wenig zu spüren. Ciani und Neotantrik boten reine Elektronik als stetiges Fließen mehr oder minder deutlich strukturierter Klänge, die selten an vertraute akustische Ereignisse denken ließen, sondern sich ganz den künstlichen Freiraum nahmen, den Synthesizer bieten. Alle drei Musiker drehten dabei so konzentriert an ihren Geräten, dass man ernsthaft den Eindruck gewinnen konnte, hier werde auf der Bühne richtig gearbeitet.

Das Trio erzeugte mit seiner kollektiven Anstrengung freundlich-abstrakte Klänge, die eher assoziativ verknüpft als streng systematisch aufgebaut wirkten, sich dank disziplinierter Teamarbeit aber zu einem Bogen fügten, der bis zum letzten Ton aufrechterhalten blieb. Allein die psychedelisch patinierten Bilder mit Vogelschwärmen, körperlichen Begegnungen zwischen Mann und Frau oder Einblicken in die Unterwasserfauna wären nicht nötig gewesen.

Visuell völlig stimmig hingegen präsentierten sich zuvor Mark Fell und Keith Fullerton Whitman: Auf der Leinwand über ihren Köpfen sah man die Projektion eines Fotos, das ihren Musiziertisch samt Mischpult, Laptop und Synthesizer zeigte, dahinter aber zusätzlich den Blick auf den Bühnenraum freigab. Vor dieser statischen Kulisse erzeugten die zwei Musiker ein Hybrid aus analoger und digitaler Musik, mit Whitman am Synthesizer und Fell am Computer.

Der Brite Mark Fell hat solo und als eine Hälfte des Duos SND wiederholt unter Beweis gestellt, dass man mit verkopfter Musik, die aus wenig mehr als Rhythmus und ein, zwei Akkordmolekülen besteht, eine elektrisierende und zugleich desorientierende Wirkung erzielen kann. Doch das quecksilbrige Zeitgefühl, das seine kontinuierlichen Tempo-Manipulationen oft bewirken, stellte sich nur in Ansätzen ein.

Irgendwie gelang es den beiden nicht so recht, ihre verschiedenen Ansätze – die reduzierte Strenge Fells und die mäandernde Quirligkeit des US-Amerikaners Whitman – in eine stimmige Form zu bringen. Über weite Strecken schienen sie orientierungslos, ließen die Dinge ohne Saft und Kraft laufen, würgten ihre Stücke unmotiviert ab, manchmal streikte sogar die Technik. Vielleicht hatten sie einfach einen schlechten Tag.

TIM CASPAR BOEHME