: Demonstranten rufen: „Renzi, geh zum Teufel!“
ITALIEN Hunderttausende protestieren am Samstag in Rom gegen die rigide Sparpolitik der Regierung
TEXT AUF EINEM SPRUCHBAND
AUS ROM MICHAEL BRAUN
Mit einer Großdemonstration, wie sie Rom seit Berlusconi-Zeiten nicht mehr erlebte hatte, protestierte am vergangenen Samstag der Gewerkschaftsbund CGIL gegen die Regierung unter Matteo Renzi. Hunderttausende Menschen, angereist aus ganz Italien, wandten sich gegen das Regierungsvorhaben, den Kündigungsschutz weiter einzuschränken, gegen den anhaltenden Gehaltsstopp im öffentlichen Dienst sowie gegen die mit dem Staatshaushalt 2015 anvisierten weiteren Einschnitte, zum Beispiel im Gesundheitswesen.
„Renzi, Renzi, geh zum Teufel!“ war einer der beliebtesten Sprechchöre, skandiert von Arbeitern der Großbetriebe genauso wie von Tausenden Arbeitslosen sowie prekär Beschäftigten und Studenten. Oder von den Mitgliedern der Rentnergewerkschaft, die in T-Shirt mit der Aufschrift „Platz frei für die Jugend!“ mitzogen. Und ein Spruchband lautete: „Wenn Renzi links ist, ist Berlusconi Feminist“.
Die meisten Demonstranten hatten bei den Europawahlen im vergangenen Mai Renzis gemäßigt linke Partito Democratico (PD) gewählt. Auf der Kundgebung am Samstag dagegen war in einem Meer roter Gewerkschaftsbanner bloß eine einzige Fahne der PD zu erblicken. Zwar waren diverse Parlamentarier der PD bei der Demonstration präsent – sie alle aber gehörten den linken Minderheitsflügeln an, die Renzi in der Partei an den Rand gedrängt hat.
Derweil hielt Renzi ebenfalls am Samstag in Florenz das jährliche Meeting seiner Anhänger ab. Auch dort übrigens fehlten in der mit Tausenden Fans gefüllten Halle Parteifahnen der PD. Auf der Bühne sprachen Modeunternehmer und Finanzinvestoren über das „Italien, das Arbeitsplätze schafft“, während Renzi jeden Verhandlungsspielraum mit der Gewerkschaft ausschloss: „Wir werden uns miteinander austauschen, aber dann werden wir voranschreiten. Es kann nicht sein, dass der Straßenprotest das Land blockiert.“
Ähnlich unfreundlich waren die in Rom zu hörenden Töne. Susanna Camusso, Vorsitzende der CGIL, begann ihre Rede mit einer Breitseite gegen „die weißen Hemden“, wie sie auf der Renzi-Veranstaltung in Florenz zu sehen waren, und denen Camusso die roten Fahnen der Gewerkschaft gegenüberstellte. „Ich bin Marta“ – dieses T-Shirt trugen im Zug zahlreiche, vor allem junge Frauen.
Der Regierungschef hatte der Gewerkschaft vor einigen Wochen vorgeworfen, sie denke „nie an Marta, prekär beschäftigt und ohne Mutterschutz“, weil sie bloß die Interessen der stabil Beschäftigten vertrete. Auch in diesem Punkt keilte Camusso zurück: „Wo war Renzi, als das Prekariat entstand?“, fragte sie in ihrer Kundgebungsrede.
Umjubelter Star auf der Demonstration aber war ein anderer: Maurizio Landini, der 53-jährige Chef der Metallergewerkschaft FIOM. Er gilt vielen, nicht nur im Gewerkschaftsmilieu, sondern auch in der italienischen Restlinken als der mögliche Anti-Renzi, als derjenige, der die Minderheitsflügel der PD mit anderen linken Kräften in einer neuen Partei einen könnte.
Noch weist Landini solche Überlegungen weit von sich. Dass für ein solches Projekt jedoch ein politischer Markt bestünde, zeigte sich am Samstag in Rom deutlich. Erst einmal aber sollen die Gewerkschaftsproteste gegen die Regierung fortgesetzt werden. Am 8. November werden die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes wieder auf die Straße gehen, im zweiten Schritt droht die CGIL einen Generalstreik an.