Mission auf dem Dancefloor

POP Tanzbaren Dubstep und chartsfähiges Songwriting zu vermengen – das ist gerade das große Ding. Die britische Sängerin Katy B macht es vor

Katy B hat den verzweifelten Mutterwitz eines Teenagers – und mit dem singt sie über lange Nächte im Club, Gespräche am Tresen und die Dinge, die man gerne hätte, obwohl sie nicht gut für einen sind

VON THOMAS WINKLER

Der Erfolg kam so schnell, dass Kathleen Brien noch nicht einmal die Zeit gefunden hat, sich eine eigene Wohnung zu suchen. Im Mai ist sie 22 Jahre alt geworden. Auf dem Bankkonto gehen dicke Überweisungen ein. Aber Katy B, der neueste, hellste Stern im schnelllebigen britischen Pop-Kosmos, bleibt vorerst noch bei den Eltern wohnen. Vater verdient sein Geld als Klempner, Mutter arbeitet bei der Post und das Kinderzimmer stünde doch sonst leer.

Noch vor Jahresfrist kannte kaum jemand den Namen der Sängerin aus dem Süden von London. Mittlerweile aber wurde sie mal eben in Ibiza zu einem Auftritt eingeflogen, muss sich im Frühstücksfernsehen behaupten und hat binnen kürzester Zeit drei Top-Ten-Hits gelandet. Und zwar in den ganz normalen Popcharts. Was einigermaßen erstaunlich ist, denn die Songs auf ihrem Debütalbum „On A Mission“, das nun auch in Deutschland erschienen ist, scheinen, ausgestattet mit kräftig ballernden Beats, ausdrücklich bestimmt für eine Auswertung auf dem Dancefloor.

Die findet auch statt. Katy B hat ihre Wurzeln in der Dubstep-Szene. Ihre Jugend hat sie in den einschlägigen Londoner Clubs verbracht. Heute werden dort ihre Tracks aufgelegt. Doch was die wo man im Internet auch herumgoogelt „Queen of Dubstep“ genannte Musikerin von anderen Himmelsstürmern unterscheidet: Katy B ist nicht gecastet. Ihre Locken werden dem Erfolg nicht hinderlich gewesen sein, aber sie ist nicht nur ein hübsches Gesicht, von dem sich ein geschäftstüchtiger Produzent bessere Vermarktungsmöglichkeiten für seine Tracks im toten Winkel zwischen Club und Popcharts verspricht.

Mit sechs Jahren begann sie Klavier zu spielen und ihr Abitur baute sie an derselben Schule für darstellende Künste wie der aktuelle Superstar Adele. Bühnenerfahrung sammelte sie in der harten Schule von Open-Mike-Abenden, bevor sie noch als Teenager erste Jobs als Backgroundsängerin fand. Im vergangenen Jahr schloss sie ihr Universitätsstudium der popular music ab, während gerade ihr Debütalbum erschien.

Heute arbeitet sie mit wechselnden Produzenten zusammen, aber singt ihre Songs nicht nur, sondern schreibt sie auch selbst. Und diese Songs sind untypisch für Club-Musik, wo die Texte gerne die einigende Kraft von Liebe und Rhythmus beschwören. Katy B erzählt lieber aus ihrem Leben. Mit dem verzweifelten Mutterwitz eines Teenagers, der viele an das legendäre Schandmaul von Lilly Allen erinnert, schreibt sie immer wieder Texte über lange Nächte im Club, Gespräche am Tresen und über die bittere Erkenntnis, dass die Dinge, die man haben will, nicht immer die Dinge sind, die einem gut tun. Katy B ist, wenn man so will, eine aus dem kitchen-sink gestiegene Singer/Songwriterin in der Spätpubertät, eine singende Helene Hegemann. Vor allem aber ist sie natürlich die richtige Frau am richtigen Ort zur richtigen Zeit. Dubstep, bereits Ende der Neunziger entstanden, war in Großbritannien zwar von Anfang an als dominierende Kraft in der Clubszene etabliert, aber die komplex konstruierten Klanglandschaften waren zunächst immun gegen eine Verwertung im Mainstream. Erst dieses Jahr hat es James Blake geschafft, Dubstep mit Songwriting zu vermengen und für ein Radio hörendes Publikum verdaubar aufzubereiten. Anders als Blake sieht Katy B in Dubstep aber etwas Größeres als das eigene Künstlerego. Und ihr gelingt sogar der Sprung in die obersten Regionen der Albumcharts, „On A Mission“ stieg bis auf Platz zwei. Mit ihr wird Dubstep endgültig zu einer Musik, die auch jenseits des Dancefloor funktioniert. Mit Katy B wird Dubstep nach langem Anlauf schlussendlich doch noch zu Pop und die Tageszeitung Independent diagnostizierte „the rise of melancholic dance music“.

Natürlich lässt sich darüber streiten, ob „On A Mission“ überhaupt noch Dubstep ist. Tatsächlich ist mancher Track gar nicht weit entfernt von dem, was Kylie Minogue so trieb. Kein Wunder: Katy B versetzt die langen Dubstep-Hallfahnen geschickt mit dem schon länger im Mainstream virulenten R&B, mit Elementen aus HipHop und Jazz; andere elektronische Stile wie UK Garage, Dancehall, Drum’n’ Bass oder Grime blitzen auch immer wieder auf.

Das aber, was Dubstep auszeichnet, jene kalte Schauerstimmung aus verlorenen Maschinenklängen und bröckelnden Beats, das ist auf „On A Mission“ nur noch zu erahnen. Nicht ihre Schuld, sagt Katy B. Dubstep sei doch schon uralt, dazu hätte sie doch schon als Teenager getanzt. Ihre Musik sei vor allem funky. Trotzdem habe sie niemals auf den Durchbruch ins Popuniversum spekuliert, sie habe „immer nur für den Dancefloor“ geschrieben, der immer noch ihre Heimat sei. Nun sorgt sie sich, gestand sie der britischen Presse, um die eigene geistige Gesundheit, die sie von einem zukünftigen Dasein als Popstar gefährdet sieht. Mal sehen, wie lange es die Geister, die sie rief, noch im alten Kinderzimmer aushalten.

■ Katy B: „On A Mission“ (Columbia/Sony Music), live am 17. 7. beim Melt Festival