Der letzte ruhige Tag

BALKAN Vor zwanzig Jahren begannen die Jugoslawienkriege. Zehntausende Tote, Zerstörung, Chaos – ein Staat zerfiel. Unser Autor erlebte den Ausbruch zwischen Serbenführern und kroatischen Nationalisten

 Der Krieg: Am 25. Juni 1991 erklärten Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit. Damit begannen die Balkankriege, die erst 1999 mit dem Frieden im Kosovo endeten. In ihrem Verlauf starben zehntausende Menschen, die UNO schickte Truppen, die Nato flog unter deutscher Beteiligung Angriffe gegen das serbische Milosevic-Regime. Am Ende standen sieben Nationalstaaten: Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Kosovo, Montenegro und Serbien.

 Der Reporter: Erich Rathfelder, 64, ist seit Anfang der neunziger Jahre Balkankorrespondent der taz. Er ist Autor mehrerer Bücher, zuletzt: „Kosovo – Geschichte eines Konflikts“, Berlin 2010.

AUS SPLIT ERICH RATHFELDER

Es war ein warmer Frühsommerabend, der die Menschen auf die malerischen Plätze Ljubljanas trieb. Auf einer Terrasse nahe dem Zentrum der Hauptstadt Sloweniens fand eine Party statt. „Abschied von Jugoslawien“ stand auf der Einladungskarte. „Am Abend des 24. Juni 1991 treffen wir uns zum letzten Mal als Bürger des gemeinsamen Staates Jugoslawien.“

Mit etwa vierzig Gästen aus allen Teilrepubliken Jugoslawiens hatte ich mich zu dieser Feier bei Miriam und Ervin Hladnik-Milharcic eingefunden. Es waren Freunde und Kollegen des Journalisten der Zeitschrift Mladina und seiner Frau. Sie alle unterhielten sich trotz des ausgezeichneten slowenischen Weins etwas betreten. Über dem Abend schwebte die bange Frage, was am nächsten Tag passieren würde. Dann würde Staatspräsident Milan Kucan die Unabhängigkeit der Republik Slowenien ausrufen – und in Zagreb zur gleichen Zeit der kroatische Präsident Franjo Tudjman die Unabhängigkeit Kroatiens. Ich ahnte, dass ich an diesem Abend bei Ervin den letzten ruhigen Moment vor einem Krieg erlebte.

Die auf der Party versammelten 25- bis 40-Jährigen waren die Kinder des Booms der sechziger und siebziger Jahre. Künstler, Wissenschaftler, Juristen, Journalisten, die sich an westlichen Werten orientierten und sich gleichwohl politisch links definierten. Sie strebten wie die Reformer in der Partei eine Demokratisierung des Systems an, ohne die Grundlagen des Selbstverwaltungssozialismus völlig infrage zu stellen. Die Mladina, bei der Ervin arbeitete, war ursprünglich die Jugendzeitschrift des Bunds der Kommunisten Sloweniens, die sich seit einigen Jahren zu einem populären Politmagazin entwickelt hatte. In den Redaktionsräumen hing ein Plakat, auf dem Karl Marx in Handschellen abgeführt wurde, an den Wänden klebten Aufrufe der Antiatombewegung, Termine von Frauentreffs und Konzertplakate. Die Zeitung hatte jahrelang ausprobiert, wie weit die von der slowenischen Partei versprochene Liberalisierung ging. Mit Witz und Ausdauer. Die Lachfalten in Ervins Gesicht zeugten davon.

Doch seit 1989 musste die Redaktion umdenken. Die Zeit der fröhlichen Demokratisierung war vorbei: Die slowenische Wirtschaft, der Exportmotor Jugoslawiens, schrumpfte. Für Investitionen in Computer und moderne Maschinen fehlte Geld. Die Zentralregierung in Belgrad unterband Versuche des slowenischen Präsidenten Kucan, den Betrieben Freiheiten gegenüber der Planwirtschaft einzuräumen, die aus Belgrad gesteuert wurde. Der neue serbische Parteichef Slobodan Milosevic wollte keine demokratischen Öffnung mit freien Wahlen.

Die Spannungen zwischen Slowenien und Serbien entluden sich bald an der Kosovofrage. Milosevic hatte die serbische Verfassung 1989 ändern lassen – und dem Kosovo die Autonomie genommen, die in Jugoslawien verankert worden war. Milan Kucan, der spätere slowenische Präsident, war zu der Zeit noch Parteichef der Teilrepublik im Norden. Er war gegen die Aufhebung der Autonomie. Kucan gelang es, die Slowenen für seine Sache zu mobilisieren. Die Argumente lieferte ihm mein Freund Ervin: Mit einem Kollegen hatte er in einer Artikelserie die Unterdrückung der Albaner im Kosovo enthüllt. In einer Reportage berichteten sie über den Hungerstreik von 3.000 Bergmännern gegen die Aufhebung der Autonomie. Kucan erklärte, Serbien würde im Kosovo die Menschenrechte missachten, die Bergarbeiter würden Jugoslawien gegen den serbischen Nationalismus verteidigen. Er zog die dort stationierten slowenischen Polizisten und Soldaten ab. Das war eine Provokation. Milosevic reagierte und rief die Serben dazu auf, slowenische Waren zu boykottieren.

Der Konflikt schaukelte sich hoch, und auf dem Parteitag des Kommunistischen Bunds Jugoslawiens im Januar 1990 kam es zum Showdown: Kucan und die slowenischen Delegierten forderten Wirtschaftsreformen, freie Wahlen und das Ende der Repressionen im Kosovo. Milosevic ließ alle Anträge abschmettern. Daraufhin verließen Slowenen, Kroaten – unter ihnen dreißig Prozent kroatische Serben – den Saal. Der Bund der Kommunisten wurde aufgelöst. Der Parteikongress symbolisierte das emotionale Ende Jugoslawiens.

Dieses Ende Jugoslawiens hatte uns auf Ervins Terrasse zusammen gebracht. Am nächsten Tag würde Slowenien unabhängig sein. Es war keine fröhliche Feier, sondern eine voller Nostalgie. Die Freunde dort sprachen über die geliebten jugoslawischen Schokoladenmarken, die Fußballnationalmannschaft, den morgendlichen Getreidekaffee, den man im ganzen Land trank. Und als die Roma-Rhythmen und der Trompetenrock der Kultband aus Sarajevo „Weiße Knöpfe“ aufgelegt wurde, tanzten und sangen alle mit.

Am nächsten Tag, das spürten sie, würde alles anders sein. Eine Klammer, die ihr Leben zusammenhielt, würde zerbrechen. Dieser städtischen Mittelschicht, die dort versammelt war, stand ein radikaler Schnitt bevor. Und Ervins Frau Miriam hatte Angst. Immer wieder fragte sie, ob es Krieg geben würde. Ervin und ich ahnten es – und wichen der Antwort genau deshalb aus.

Die Jugoslawische Volksarmee würde die Abspaltung Sloweniens nicht akzeptieren. Die Armee fühlte sich dem sozialistischen Jugoslawien verpflichtet. Sie hatte angekündigt, die Souveränität sofort zu untergraben und die jugoslawischen Grenzen zu sichern, sollte die Unabhängigkeit ausgerufen werden. Doch Slowenien war vorbereitet. Militärstrategen hatten insgeheim Strukturen einer eigenen Armee aufgebaut. Ihnen halfen die aus Reservisten bestehenden regionalen Territorialeinheiten der Jugoslawischen Volksarmee. Deren Führung hatte darin schon 1990 eine Gefahr gesehen und versucht, die Waffen der Territorialeinheiten einzusammeln. Doch den Slowenen war es gelungen, diese Waffen zu verstecken. Die Jugoslawische Volksarmee würde in Slowenien auf Widerstand stoßen.

Zagreb freut sich auf die Unabhängigkeit

Am Nachmittag des selben Tages war ich nach Zagreb gefahren. Die kroatische Hauptstadt zeigte Flagge. An jedem Haus, aus fast allen Fenstern, wehte die Sahovnica, die rot-weiße, schachbrettartige Flagge Kroatiens. Die Menschen fieberten der Unabhängigkeit entgegen. Im April 1990 war Franjo Tudjman bei der ersten freien Wahl zum Präsidenten gewählt worden. Einst ein überzeugter Jugoslawe, der sich in den siebziger und achtziger Jahren zum stolzen Kroaten gewandelt hatte. Nun spielte er mit dem Nationalismus, anders als Kucan in Slowenien.

Tudjman führte die „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“ an, mit der er die Spaltung der kroatischen Gesellschaft überwinden wollte. Exilkroaten verherrlichten weiter das faschistische Ustascha-Regime des Zweiten Weltkriegs, den meisten Kroaten jedoch ging das zu weit. Den extremen Nationalismus lehnten sie ab. Tudjman wollte beide Seiten zusammenbringen, um die serbische Herrschaft über Kroatien zu beenden. Seine Partei errang 1990 vierzig Prozent der Stimmen, eine Mehrheit, durch die er den Charakter Kroatiens grundlegend verändern konnte: In Jugoslawien war die Teilrepublik Kroatien als Staat der Kroaten und Serben definiert gewesen, jetzt sollte sie der katholisch geprägte Nationalstaat der Kroaten werden. Die Serben würden nur noch den Status einer Minderheit haben. Diesen Plan empfanden die Serben als Bedrohung.

Bald begegnete ich den ersten kroatischen Flüchtlingen. Ihr Dorf war zerstört worden, sie waren in die Berge geflüchtet und traumatisiert

Wie brisant die Lage war, hatte ich schon im März 1991 gespürt, drei Monate vor der Unabhängigkeitserklärung. Ich war in die Kleinstadt Knin gefahren, kaum achtzig Kilometer nördlich der dalmatinischen Hafenstadt Split. Knin schmiegt sich, umgeben von Weingärten, an einen mittelalterlichen Burgberg. Ein beliebtes Ausflugsziel und das Zentrum der serbischen Bevölkerung der Krajina, dem Grenzland des von Habsburg beherrschten Kroatien hin zum Osmanischen Reich. Die Habsburger hatten im 18. Jahrhundert orthodoxe serbische Bauern ins Land geholt, sie sollten als Wehrbauern die Grenze schützen. So kamen die Serben nach Kroatien.

In Knin warteten Ervin und ich in einer Kaffeebar neben dem Rathaus auf ein Treffen mit dem politischen Führer der Serben Kroatiens, Milan Babic. Wir waren umgeben von serbischen Milizionären in ihren blauen Uniformen. Sie hielten Kalaschnikows in ihren Händen, trugen Pistolen und Messer an ihrem Gürtel. Die Männer bildeten eine Art Eingreiftruppe für den Zusammenschluss der serbisch dominierten Gemeinden in Kroatien, der seit 1990 existierte. Sein Name war Programm: „Republika Srpska Krajina“, Serbische Republik Krajina also. Die Mehrheit der Kroaten wollte zwar noch 1990 in einem reformierten Jugoslawien bleiben. Doch als Männer wie die, die Ervin und mich nun bewachten, im Sommer die wichtige Straße von Zagreb nach Split mit Baumstämmen blockiert hatten, änderte sich das.

Tudjman – auch er zuvor ein Anhänger einer Konföderation der jugoslawischen Teilrepubliken – wollte jetzt die Loslösung Kroatiens von Jugoslawien und setzte für den Mai 1991 eine Volksabstimmung an. Das erhöhte die Spannungen zwischen Kroaten und Serben, und die Propaganda aus Belgrad verunsicherte die serbische Bevölkerung in Kroatien noch mehr: Tudjman sei der Nachfolger der kroatischen Ustascha, die im Zweiten Weltkrieg zehntausende Serben in Konzentrationslagern ermordet hatten, hieß es. Die Orthodoxe Kirche Serbiens sprach sogar von mehr als 700.000 Toten, obgleich seriöse Historiker diese Zahlen für völlig übertrieben hielten. Die ländliche serbische Bevölkerung der Krajina scharte sich nun hinter die Nationalisten der „Serbischen Demokratischen Partei“ (SDS). Milan Babic putschte sich in der SDS an die Macht und wurde ihr starker Mann.

Der Serbenführer droht mit dem Krieg

Ervin und ich wollten nun von ihm wissen, wie die Serben Kroatiens auf die kroatische Unabhängigkeitserklärung reagieren würden. Schließlich holte uns seine attraktive Sekretärin aus der Umklammerung der Polizisten und führte uns zu dem Führer der Serben. Babic selbst sah teigig aus, ein Parteibürokrat. Er empfing uns in seinem kargen Büro, das er eben erst bezogen hatte. Freundlich und konzentriert beantwortete er die Fragen, redete allerdings nicht lange herum: „Wenn Kroatien die Unabhängigkeit ausruft, werden wir, der Zusammenschluss der serbischen Gemeinden in Kroatien, unsererseits die Unabhängigkeit von Kroatien ausrufen.“ Das war die entscheidende Botschaft. Sie bedeutete Krieg. Kroatien würde niemals auf einen Teil seines Territoriums verzichten. Wir fuhren so schnell wie möglich zurück nach Slowenien, wenig später hörten wir, dass Kroaten und Serben in der nahe gelegenen Region Plitvice aufeinander schossen.

Die Unabhängigkeitsfeier am frühsommerlichen 25. Juni 1991 in Ljubljana war nur ein kurzes Fest. Milan Kucan hielt eine Ansprache, die slowenische Fahne wurde gehisst, die Nationalhymne gesungen. Dann gingen Tausende schweigend auseinander. Manche direkt zu den Barrikaden, die nun an jedem Ortseingang und an strategisch wichtigen Stellen im Land errichtet wurden. Hier verschanzten sich Freiwillige mit Pistolen und Jagdgewehren, Einheiten der slowenischen Armee sicherten die Grenzregion. Schon am Tag darauf wollte die Jugoslawische Volksarmee genau dies auch tun – und so trat ein, was wir geahnt hatten: In Goriza an der italienischen Grenze und an den Übergängen zu Österreich kämpften Soldaten der Jugoslawischen Volksarmee und Soldaten der slowenischen Truppe, die sich gerade erst gebildet hatte, gegeneinander. Die Volksarmee bombardierte den Flughafen von Ljubljana. In den Kasernen der kroatischen Stadt Karlovac setzten sich Panzer in Richtung Slowenien in Bewegung. Kroatische Lastwagenfahrer kippten ihre Lastzüge auf die Straße, um sie aufzuhalten. Am fünften Tag des Krieges wollten Ervin und ich den Regionalkommandeur der Jugoslawischen Volksarmee, General Kolsek, in seinem Hauptquartier in Zagreb sprechen. Kolsek war ein alter Partisan, ein slowenischer Kommunist, der Jugoslawien zusammenhalten wollte. Als wir vor dem Hauptquartier angekommen waren, hörten wir Schüsse aus dem Gebäude und bekamen so mit, wie Kolsek abgesetzt wurde.

Slowenien spielte plötzlich keine Rolle mehr

Mit der Absetzung des Slowenen Kolsek übernahmen die nationalistischen Serben die Macht in der fünftgrößten Armee Europas und verständigten sich sogleich mit der slowenischen Führung. Serbiens Parteichef Slobodan Milosevic soll mit Präsident Milan Kucan direkt gesprochen haben. Der Krieg in Slowenien endete wenige Tage später. Am 5. Juli zogen die Truppen der Jugoslawischen Volksarmee – die kurz darauf zur Jugoslawischen Armee umbenannt wurde – aus Slowenien ab und wurden nach Kroatien verlegt. Ein Teil der Soldaten wurde in Knin unter dem Befehl von Oberst Ratko Mladic stationiert, jener Mann, der sich jetzt vor dem UN-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag für schwerste Kriegsverbrechen verantworten muss. Darunter das Massaker von Srebrenica mit 8.000 Toten und die Belagerung Sarajevos im Bosnienkrieg. Die Jugoslawische Armee fiel auseinander, Slowenen, Kroaten, Mazedonier, bosnische Muslime und Kosovaren desertierten.

Slowenien spielte jetzt für die Serben keine Rolle mehr – der Erhalt Jugoslawiens war nicht mehr das Ziel –, sondern Kroatien. Dort lebte die serbische Minderheit, dort konnte der Traum eines Großserbiens wahr werden. Der heute als Kriegsverbrecher angeklagte Extremist Vojislav Seselj höhnte im Sommer 1991, Kroatien werde gerade so groß sein, wie man vom Kirchturm von Zagreb sehen könne. Die serbischen Nationalisten gaben die militärischen Ziele vor: Ganz Dalmatien und Slawonien sollten zu Serbien kommen, den Kroaten blieben nur die Gebiete nördlich der Linie Karlobag an der Adria, Karlovac bei Zagreb und Virovitica an der ungarischen Grenze – zwanzig Prozent des eigentlichen Landes. Die Kleinstadt Knin spielte als Hauptquartier der serbischen Streitkräfte und Hauptstadt der „Republika Srpska Krajina“ eine entscheidende Rolle.

Über den Gesprächen bei der Party zur Unabhängigkeit Sloweniens schwebte die bange Frage, was am nächsten Tag passieren würde. Krieg?

Für mich war es nach der Unabhängigkeitserklärung Kroatiens zunächst nicht mehr möglich, nach Knin zu fahren. Die serbischen Gebiete wurden abgeriegelt. Im Juli kam es schon zu Scharmützeln in Ostslawonien, im August dann traf ich Flüchtlinge aus dem kroatischen Dorf Kijevo in Split. Sie berichteten von der Artillerie, die das Dorf beschossen hatte, von ihrer Flucht in die Berge und an die Küste. Kijevo war eines der ersten Opfer der „ethnischen Säuberungen“ – und die Flüchtlinge für mich die ersten Traumatisierten dieses Krieges. Es sollten noch viele folgen, denn das Vorgehen der Armee hatte System, wie ich später, nach den Erfahrungen in Bosnien, verstand: Die Artillerie greift eine Stadt, ein Dorf, eine Region an, die Bewohner werden zur Flucht gezwungen, dann kommen Bodentruppen, die töten, was sich noch bewegt. „Zerstören und töten“ hieß die Militärdoktrin.

Die serbischen Truppen eroberten bis Herbst 1991 fast ein Drittel Kroatiens. Die dort lebenden Kroaten, Ungarn und Mitglieder anderer Minderheiten wurden vertrieben, Häuser wurden zerstört, Kirchen und andere Kulturgüter gesprengt. Im Herbst, nach dem Fall Vukovars, gab es schon mehr als 10.000 Tote und hunderttausende Vertriebene. Die Kroaten hatten der Feuerwalze kaum etwas entgegenzusetzen. Anfänglich waren nur die Polizeikräfte einsatzbereit. Und die vielen Freiwilligen, die mit Jagdflinten und selbst organisierten Waffen an die Fronten eilten. Kroatiens Präsident Tudjman hatte im Gegensatz zu den Slowenen die Unabhängigkeitserklärung nicht durch den Aufbau eigener Streitkräfte abgesichert. Der Jugoslawischen Volksarmee war es 1990 gelungen, die meisten Waffen der kroatischen Territorialeinheiten einzusammeln. Diese Einheiten begannen sich aber zu reorganisieren – als Kern für eine kroatische Armee.

Erst die Anerkennung brachte Ruhe

Zwar wurden auf internationalen Druck hin immer wieder Waffenstillstände ausgerufen, doch die Serben brachen sie sofort. Erst mit der diplomatischen Anerkennung Kroatiens und Sloweniens durch die damalige EG – mit Ausnahme Griechenlands – am 15. Januar 1992 beruhigte sich die Lage. Der mit der UN abgesprochene vorausgehende Waffenstillstand hielt, UN-Truppen rückten wenig später in die von Serben besetzten Gebiete ein. Der Krieg in Kroatien war eingefroren. Zu Ende ging er erst drei Jahre und viele Opfer später: Mit der Operacija Oluja, Operation Sturm, eroberte die kroatische Armee 1995 innerhalb von 72 Stunden die von Serbien besetzten Gebiete zurück und befreite die bosnische Stadt Bihac mit 250.000 Einwohnern, die über vier Jahre von serbischen Milizen belagert worden war.

Ich hatte auf Ervins Party zur Unabhängigkeit Sloweniens, bei diesem Fest voller Nostalgie, geahnt, dass ein Krieg bevorstand. Und ich rechnete damit, dass es nicht bei diesem einen Krieg bleiben würde. Bosnien, Kosovo, das alles stand noch bevor. Ich blieb deshalb als Korrespondent in der Region und erlebte mit, wie Dubrovnik, Sarajevo, die Brücke von Mostar und vor allem Srebrenica zu Namen wurden, die seither für den Schrecken dieser Kriege stehen.