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Archiv-Artikel

Falken und Hühnchen

NIGERIA Rekordafrikameister retten die Ehre

VON ARNE SCHNEIDER

Wenn ein satter und flügellahmer Adler eine Bauchlandung macht, retten die Falken die Situation. Das ist kein afrikanisches Sprichwort, sondern afrikanische, genauer: nigerianische Realität. Mit ihrem sieglosen Vorrunden-Aus blamierten sich die Super Eagels bei der Weltmeisterschaft in Südafrika derart, dass sie im Volksmund bald „Super Chicken“ hießen und Präsident Goodluck Jonathan das Team mit einem zweijährigen Spielverbot im Ausland belegen wollte.

Was für ein Glück, dass die Frauen die Fußballehre des größten afrikanischen Landes retten: Im November 2010 gewannen die Super Falcons erneut die Frauen-Afrikameisterschaft und holten zum fünften Mal den Titel. Oder anders gesagt: Es gab nur eine Afrikameisterschaft, die das nigerianische Frauennationalteam nicht gewonnen hat.

Doch all das nützt wenig. Die Förderung und der Fanhype gehen an das Männerteam. Und damit steht der Fußball für das öffentliche Leben allgemein in Nigeria: Auch wenn es immer wieder Politikerinnen, Managerinnen und Beamtinnen in herausgehobenen Positionen gibt, die Macht, das Geld und die öffentliche Aufmerksamkeit gehören den Männern.

Dabei retten die Frauen nicht nur die nigerianische Fußballehre. Sie stellen auch sicher, dass die 15 Millionen Einwohner der Megastadt Lagos täglich etwas zu Essen haben. In dieser Stadt gibt es keinen zentralen Großmarkt, wo die Händler ihre Waren kaufen und verkaufen könnten. Das dichte und informelle Netz aus Zwischenhändlern, Märkten und tausenden von Kleinst- und Straßenhändlern ist stark von Frauen dominiert, und über Mama Benz, eine der erfolgreichsten der geschäftstüchtigen und stimmgewaltigen „Cash Madams“, wurde sogar ein Dokumentarfilm gedreht.

Das Deutschlandbild in Nigeria ist positiv. Es wird bestimmt von Tugenden wie Organisation, Verlässlichkeit, Pünktlichkeit und Qualität. Die Karossen der deutschen Autohersteller genießen höchste Wertschätzung, auch wenn die im Dauerstau der Riesenmetropole Lagos oder in den Schlaglochslalom-Parcours der Überlandstraßen nur selten beweisen können, was in ihnen steckt.

Kann da nicht auch der deutsche Fußball helfen, das Deutschlandbild aufzupeppen? Schließlich ist auch der Weltklasse, wie man in Nigeria spätestens seit dem WM-Fußballmärchen von 2006 und den furiosen Auftritten der multikulturellen deutschen Nationalmannschaft 2010 in Südafrika weiß. Und das Fußballspielen – ebenso wie das Fußball-Fachsimpeln – ist in Nigeria ein zentraler Bestandteil des Lebens und Denkens.

Fußball will sich aber in Nigeria nicht so recht mit Deutschland verbinden lassen. Klar kennt man Bayern München. Doch genau genommen gibt es hier auf die Frage nach dem Lieblingsverein nur zwei mögliche Antworten: Chelsea oder Manchester United. Doch vielleicht tun auch hier die Frauen das Nötige und sorgen durch eine überragende Leistung bei der WM dafür, dass sich der Blick in Nigeria nicht nur stärker auf Frauenfußball, sondern auch auf die Frauen allgemein richtet.

■  Arne Schneider, geboren 1969, studierte Neuere deutsche Literatur, Neuere Geschichte und Linguistik. Er leitete bis 2008 das Goethe-Institut Nigeria. Derzeit arbeitet er im Goethe-Institut München