Tanzende Matildas

AUSTRALIEN Hoffnung für die Schafscherer

VON KLAUS KRISCHOK

Der Titel der inoffiziellen australischen Nationalhymne lautet „Waltzing Matilda“. „Matildas“ ist der Name des australischen Frauenfußballteams. Das Lied hat weder etwas mit einer Dame namens Matilda noch mit einem in Mitteleuropa verbreiteten Gesellschaftstanz zu tun. Im Gegenteil: Das Gedicht zur Hymne erzählt die bittersüße Geschichte eines Landstreichers, der sich im Outback lieber in einem Wasserloch ertränkt, als sich der Polizei zu stellen. Diese ist ihm auf den Fersen, da er sich an einem Schafschererstreik beteiligt hat. Auf seiner Flucht braucht er natürlich seine Matilda – sein Reise-Schaffell. Mit einer Matilda gehen er und seine Kollegen auf die Walz.

Das Lied mit seiner eingängigen Melodie wird man während der Frauenfußball-WM im australischen Lager und auf den Straßen sicher oft hören – es eignet sich bestens für erfreuliche wie für traurige Anlässe. Natürlich hofft Australien auf zahlreiche erfreuliche Anlässe, sitzt doch der Schock des 0:4 gegen Deutschland bei der Männer-WM in Südafrika noch tief. Also müssen es die Frauen mal wieder retten. Das tun sie in Australien in letzter Zeit immer öfter und erfolgreicher.

Das Land der Schafscherer hat sich in den letzten zehn Jahren stark gewandelt: seit 2010 ist Julia Gillard die erste Premierministerin des Landes, Frauen stehen an der Spitze großer Banken, man sieht sie Bagger fahren und Orchester dirigieren. Mit Penny Wong wurde 2007 auch zum ersten Mal eine Asiatin in ein Kabinett berufen. Im Sport dagegen zählen auch in Australien die Jungs immer noch mehr: Mit vier verschiedenen Fußball-Sportarten (Rugby Union, Rugby Liga, Australian Football und „normaler“ Fußball) ist das Land Weltrekordhalter. Außenstehende tun sich schwer, das zu verstehen. Die Matildas aber haben das Zeug, das Männer-Sommermärchen des Jahres 2006 zu wiederholen, bei dem die Socceroos im Achtelfinale standen. Und vielleicht wird bei einem Sieg der Frauen doch ein gepflegter mitteleuropäischer Walzer getanzt.

Dass die Matildas mit dem Eindruck weltoffener Gastlichkeit aus Deutschland zurückkehren, steht auf jeden Fall zu hoffen. Deutschland ist in Australien immer noch das Land der vier B: Bier, Bach, Beckenbauer und BMW. Für ein modernes und aufgeschlossenes Deutschlandbild setzt das Goethe-Institut in Sydney und Melbourne gerne ein weiteres B hinzu und feiert mit riesigem Zuspruch die „Berlin Dayz“. Die deutsche Hauptstadt gilt auch down under als „Capital of Cool“, wo man verbotene Partys feiern kann, schräge Kunst betrachtet und vor allem eins bekommt: billige Wohnungen. Davon träumen Boom-gebeutelte Australier. Etwas verunsichert ist man allerdings wegen der bis an die Strände von Bondi Beach dringenden deutschen Multikulti-Debatte: Man hatte sich gerade an türkische und russische Akzente der vom Goethe-Institut eingeladenen Künstler und Autoren gewöhnt und wundert sich nun, warum der deutscher Multikulturalismus als gescheitert gilt. So hat denn die Frauen-Fußball-WM mehr als eine rein sportliche Aufgabe: Es ist zu hoffen, dass der freundliche Geist von 2006 im Jahr 2011 fröhlich wiedererwachen möge.

Klaus Krischok, leitet seit 2005 das Goethe-Institut Australien und wechselt 2011 nach Israel. Zuvor war er Presse- und Marketingleiter des Goethe-Instituts München