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Archiv-Artikel

Bürgerentscheid auf Helgoland

NORDSEE Am Sonntag stimmen die Wähler darüber ab, ob zwischen den beiden Teilen der Insel Sand aufgespült werden soll. Neuland werde Tourismus fördern, sagen Befürworter

„Fuselfelsen“ im Meer

■  Helgoland ist die einzige deutsche Hochseeinsel. Sie liegt etwa 62 Kilometer nordwestlich der Elbmündung.

■  1721 trennte eine Sturmflut die Felseninsel und die benachbarte Sandinsel Düne.

■  Den Ruf als „Fuselfelsen“ verdankt Helgoland seinem Status als steuerfreie Zone außerhalb des EU-Zollgebiets. Alkohol ist dort günstiger als am Festland.

VON SVEN-MICHAEL VEIT

HAMBURG taz | Die Frage erscheint simpel, die Konsequenzen allerdings sind beträchtlich: „Sind Sie für eine Landgewinnung durch eine Verbindung der beiden Inselteile Helgolands? Ja – Nein“. So lautet die Zukunftsfrage, die am Sonntag auf der einzigen deutschen Hochseeinsel in einem Bürgerentscheid geklärt wird. Die etwa 900 Wahlberechtigten stimmen darüber ab, ob zwischen die felsige Hauptinsel und die benachbarte Badeinsel Düne Sand geschüttet werden soll, um dieses Stück Nordsee in Land zu verwandeln.

Die Stimmung auf der Insel sei „offen“, sagt Sabine Roberts, Helgoland-Beauftragte des schleswig-holsteinischen Landkreises Pinneberg, zu dem die Insel gehört. Es gebe „durchaus lebhafte Debatten, aber keinen ernsthaften Streit“ in der Bevölkerung. Auf einer Bürgerversammlung im April hatten bereits einige HelgoländerInnen vor einer Entwicklung zu „Events und Remmidemmi“ gewarnt. Das Kapital der Insel sei Ruhe, Einsamkeit und frische Luft in unverfälschter Natur – das dürfe nicht aufs Spiel gesetzt werden. „Zwei Inseln, eine Meinung: Keine Landverbindung“ lautet das Motto der Projektgegner. „Ja zur Zukunft“, plakatieren die Befürworter.

Der Bürgerentscheid „liegt in einem grundsätzlichen Spannungsfeld zwischen einem ‚Bewahren‘ und ‚Verändern‘ der Insel“, heißt es in einer Bürgerinformation der Gemeinde zum Referendum. Deshalb sei „eine Diskussion ‚mit offenem Visier‘ nötig“. Die Landbrücke würde „den Charakter der Insel schon verändern“, räumt der parteilose Inselbürgermeister Jörg Singer ein.

Durch die fast 1.000 Meter lange und knapp 300 Meter breite Landbrücke würde Helgoland von rund 1,7 auf gut 2 Quadratkilometer Fläche anwachsen. Die Kosten werden auf knapp 100 Millionen Euro geschätzt, hinzu kämen noch private Investionen. „Das ist finanzierbar“, sagt Bürgermeister Singer. Es handele sich um eine „gezielte Investition, die sich wieder bezahlt machen wird“.

Sie basiert auf einem von vier Szenarien, die ein seit 2008 erarbeitetes Regionales Entwicklungskonzept vorschlägt. Das Neuland, auf dem Grundstücke an Investoren verkauft oder verpachtet würden, soll vor allem Ferien- und Freizeitangeboten dienen. Die Investitionen der Gemeinde würden sich durch die Erlöse und den Tourismus amortisieren.

Seit mehr als zwei Jahren haben Planungsbüros im Auftrag der Gemeinde Helgoland, des Kreises Pinneberg und des Landes Schleswig-Holstein intensiv am Zukunftskonzept gebastelt. Denn die Zahl der TouristInnen ist von 800.000 vor 40 Jahren auf 300.000 gesunken, die Einwohnerzahl ging von 2.700 Menschen Anfang der 1980er Jahre auf die Hälfte zurück.

Durch die Landbrücke würde die Insel von 1,7 auf gut 2 Quadratkilometer wachsen

Nach einer mehr als halbjährigen Debatte auf der Insel und mehreren Bürgerveranstaltungen komme jetzt die Entscheidung, „und danach wissen wir alle, was zu tun ist“, sagt Bürgermeister Singer. Das Meinungsbild in der Bevölkerung indes sei weiterhin gespalten.

Man müsse jetzt „was Großes tun, um nicht zum Museumsdorf zu werden“, die Insel Helgoland brauche „ein neues Erscheinungsbild, ein neues Image“, ist die Position der Optimisten. Die Skeptiker hingegen warnen vor Hotelburgen. Die Lösung der Probleme sei es nicht, „in drei Monaten Sommer noch mehr Touristen heranzukarren“, sondern „attraktive Angebote für Urlauber über das ganze Jahr“ zu entwickeln.

Wie der Bürgerentscheid ausgeht, wagt niemand vorherzusagen. Immerhin konnten noch nie in Deutschland die Einwohner einer Gemeinde darüber beschließen, ob sie künftig trockenen Fußes übers Wasser gehen wollen.