Britisch, aber nicht kritisch

AUSSTELLUNG II Der Fotograf Martin Parr ist dem Britischen in Niedersachsen nachgegangen. Herausgekommen sind teils skurrile Bilder – doch ohne den Biss seiner Milieustudien

Nicht alles, was britisch aussieht, ist es notwendigerweise auch. So fasst der englische Fotograf Martin Parr, immer noch voll des Erstaunens, die Ergebnisse seiner sechs Exkursionen durch Hannover und Niedersachsen zusammen. Das Interesse seiner 16-monatigen fotografischen Feldforschung: die aktuelle Britishness im Lande.

Einerseits als Nachwehe etwa der Personalunion von Haus Hannover und englischem Thron zwischen 1714 und 1837, deren Feierlichkeiten gerade zu Ende gehen. Aber auch das deutsche Bundesland Niedersachsen ist ja ein britisches Konstrukt, nämlich der Besatzungsmacht nach 1945.

Das Sprengel Museum Hannover zeigt derzeit neben der Niedersachsen-Serie „We love Britain!“ noch sieben weitere, so dass eine echte Retrospektive des 1952 geborenen Parr zustande gekommen ist. Das war eigentlich gar nicht beabsichtigt, erzählt Kuratorin Inka Schube. Martin Parr sei aber irgendwann nicht mehr zu bremsen gewesen, habe mit schwungvollem Pragmatismus das Projekt auf vier große Säle mit 700 Quadratmetern Fläche auswuchern lassen.

Die Hängung eines jeweiligen Saales aber, bei anderen Künstlern oft eine lange Nerverei, dauerte mit Parr nur vier Stunden, so Schube. Und auch der Katalog mit seinem schräg gelben Schulheft-Umschlag ging flott von der Hand. Viele seiner Fotos hat Parr ganz uneitel über den Bruch der Buchmitte setzen lassen.

Damit wird klar: Martin Parr versteht sich nicht als Künstler-Egomane. Immer sind es Menschen, die ihn interessieren. Seine pointiert zugespitzten Milieustudien beruhen auch auf seinem Gespür für Klassenzugehörigkeiten, einer zutiefst britischen Eigenschaft, sagt Parr.

In den Jahren der Sozialkahlschläge unter Margret Thatcher etwa entstand die entlarvende Sicht auf das verfallende New Brighton, ein Arbeiterstrandbad bei Liverpool, dem der vormals proletarische Stolz nachhaltig ausgetrieben wurde.

Recht harmlos fällt daran gemessen Parrs Bildproduktion aus Niedersachsen und dem westfälischen Paderborn aus. Viele vom britischen Militär genutzte Orte wurden von Parr aufgesucht. Dass deren Architekturen häufig schon den Nazis dienten, gibt ihnen zwar etwas Beklemmendes, wird durch den alltäglichen Umgang mit ihnen aber besänftigt, etwa wenn eine Putzfrau den Boden des Festsaals im Bergen-Hohne-Camp feudelt. Dass unmittelbar daneben der im April 1945 von den Briten befreite Schreckensort Bergen-Belsen liegt, scheint für Parrs visuelles Beuteschema irrelevant. Stattdessen findet er Militärmuseen, unter anderem mit ganz unverhohlen gezeigten SS-Devotionalien.

Vielen britischen Festen ist Martin Parr nachgegangen, beim Hannoverschen Schützenfest, aber auch den zahlreichen Geburtstagsfeiern für die Queen – sie ist dann vor Ort durch eine lebensgroße Pappfigur vertreten. Dem Lady Di Club in Hameln galt natürlich auch ein Besuch. Die Vorsitzende posiert freudig neben der überlebensgroßen Prinzessin, erneut eine Pappfigur. Das wahre Geheimnis liegt aber ja bekanntlich im Sichtbaren. Dies wusste, wenn auch kein Brite, so doch der große Ire Oscar Wilde.

BETTINA BROSOWSKY

Ausstellung „Martin Parr. We love Britain!“: bis zum 22. Februar 2015, Sprengel Museum, Hannover