: Zwielichtiger Arzt wird neuer Staatschef
Lettlands Parlament wählt Valdis Zatlers zum Präsidenten. Der gibt zu, für Behandlungen extra kassiert zu haben
STOCKHOLM taz ■ Ein umstrittener Mann ist am Donnerstag vom Parlament Lettlands zum neuen Staatspräsidenten gewählt worden: Valdis Zatlers, der bisherige Leiter der Orthopädischen Klinik in Riga und politisch ein unbeschriebenes Blatt. Viel Rückhalt in der Bevölkerung hat er nicht. Laut Umfragen hält nicht einmal ein Drittel den 52-jährigen Mediziner für den passenden Nachfolger der scheidenden Präsidentin Vaira Vike-Freiberga. Mehr als die Hälfte der LettInnen hätte demgegenüber lieber Zatlers Gegenkandidaten, dem ehemaligen Verfassungsrichter Aivars Endzins, den Vorzug gegeben.
Während Endzins sich als Kämpfer gegen die in der Baltenrepublik weitverbreiteten Korruption einen Namen gemacht hat, verkörpert ausgerechnet der neue Staatspräsident diese Korruption höchstpersönlich. Wer in Lettland zum Arzt geht und eine anständige Behandlung will, sollte das nicht ohne einen Briefumschlag mit einem Fünfzig- oder Hundert-Lats-Schein (100 Euro = 70 Lats) tun, der bei der Begrüßung in die Kitteltasche des Arztes wandert. Dass auch bei seinen PatientInnen diese Praxis gang und gäbe war, gibt Zatlers nicht nur zu, sondern verteidigt dies auch. Doch habe er Behandlungen nicht ausdrücklich von solchen „Umschlägen“ abhängig gemacht und betrachte diese – nie versteuerten – Gelder als „Dankgeschenke“.
Delna, der lettische Zweig der Antikorruptionsorganisation „Transparency International“, hält einen Mann, der so denkt und handelt, im höchsten Staatsamt Lettlands für „völlig unmöglich“. Dies trage dazu bei, die Bestechungskultur auf dem Rücken hilfsbedürftiger PatientInnen und überhaupt die „strukturelle Korruption“ (Delna) in der lettischen Gesellschaft zu einem permanenten Zustand zu machen.
Während der Gegenkandidat Endzins auf Erfahrungen sowohl im Parlament wie auch in der OSZE verweisen konnte, ist die einzige politische Aktivität in Zatlers Lebenslauf eine zeitweise Mitarbeit in der Anfang der Neunzigerjahre für die Unabhängigkeit Lettlands aktiven „Volksfront“.
Viele politische Kommentatoren in Lettland finden nur eine Erklärung, warum die amtierende Mitte-rechts-Koalition, die mit ihren Stimmen Zatlers ins Amt gehoben hat, sich auf diesen umstrittenen Kandidaten verständigte. Nach den Erfahrungen mit der selbständigen und populären Vike-Freiberga habe man offenbar bewusst nach einem vermeintlich ebenso schwachen wie bequemen Amtsnachfolger gesucht. REINHARD WOLFF