: Atommüll leckt
Schwedische Behörde macht Lager für radioaktiven Müll in Forsmark dicht – strahlendes Wasser tritt aus
STOCKHOLM taz ■ Wieder Atom-Pannen: Die schwedische Strahlenschutzbehörde SSI hat am Mittwoch eine Schließung des beim AKW Forsmark liegenden Lagers für niedrig- und mittelaktiven Atommüll angeordnet. Grund: anhaltende Verstöße gegen Auflagen und Sicherheitsbestimmungen. Das Lager wird von der „Forsmark-Kraftgrupp“ betrieben. Eigentümer sind die Stromkonzerne Vattenfall und Eon. Die Kraftgrupp arbeitet im Auftrag der Atommüllgesellschaft „Svensk Kärnbränslehantering“ (SKB). Miteigentümer sind auch hier: Vattenfall und Eon.
Die Mängelliste ist lang. Die SSI wirft den Betreibern vor, dass in dieser als „Endlager“ konzipierten Anlage die zulässigen Strahlenwerte über längere Zeit überschritten worden sind. Von der Behörde „trotz wiederholter Erinnerung“ angeforderte Berichte über den Anlagenbetrieb seien entweder gar nicht oder erst verspätet vorgelegt worden.
Und die Rapports, die die Behörde erhalten habe, „zeigen Verstöße gegen den Strahlenschutz“. Zudem seien die Methoden, die die Techniker im Forsmark-Lager anwendeten, um Strahlung zu messen, ungeeignet. Deshalb verbiete die SSI ab dem 21. Juni der Kraftgrupp, neuen Atommüll einzulagern.
Das Lager ist in 50 Meter Tiefe angelegt. Bereits vor einigen Wochen war bekannt geworden, dass im Drainagewasser erhöhte Cäsium-Strahlenwerte gemessen wurden. Das Wasser war offenbar mit dem Inhalt durchgerosteter Atommüllfässer in Kontakt gekommen.
Forsmark liegt an der Ostsee. Die Techniker mussten damit rechnen, dass aufgrund der Küstenlage salzhaltiges Grundwasser in die unterirdischen Lagerräume eintropfen könnte. Trotzdem haben sie den in Bitumen eingegossenen strahlenden Müll in Blechfässer verpackt, die nicht rostfrei sind.
Wie sich herausstellte, war dieses Problem SKB seit spätestens letztem Sommer bekannt. Die Kraftgrupp behob aber nicht die Ursache der Lecks, sondern leitete seither das aufgefangene radioaktive Wasser einfach in die Ostsee.
Schon im Normalbetrieb sind die schwedischen AKWs von Forsmark und Oskarshamn laut dem Atomkraftexperten Lars-Olov Höglund die Anlagen, welche der Ostsee die meiste Radioaktivität zuführen. Denn zum Beispiel wird das Kühlwasser in die See geleitet.
Das Lager für radioaktive Betriebsabfälle war von SKB stolz als das weltweit erste derartige Endlager präsentiert worden, als es 1988 seinen Betrieb aufnahm. In vier 160 Meter langen unterirdischen Bergräumen soll hier der in den schwedischen AKW anfallende niedrig- und mittelaktive Atommüll – Arbeitskleidung, Filter oder Schrott – mindestens 500 Jahre lang verwahrt werden.
Die Tatsache, dass die dafür von der Atomstromindustrie gegründete Atommüllgesellschaft SKB es nicht einmal schafft, Strahlenmüll auch nur 20 Jahre lang vorschriftsmäßig „endzulagern“, könnte nicht nur in Schweden eine neue Debatte über Atommüllkonzepte auslösen.
REINHARD WOLFF