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Archiv-Artikel

Armer Herr Rüttgers

Der Ministerpräsident hat kein Geld, aber ein großes Herz. Deshalb will er jetzt hungrigen Kindern helfen – irgendwie

IM PROFIL

Als guter Christ und Familienvater hat er ein Herz für arme Kinder: Jürgen Rüttgers, 56, lebt mit Frau und drei Söhnen in Pulheim FOTO: AP

Das sind die Schlagzeilen, die Politiker lieben: „Rüttgers will hungrige Kinder satt machen“, titelte die Aachener Zeitung; „Rüttgers mahnt Städte: Macht eure Kinder satt“, hieß es in der Rheinischen Post. Ähnliches konnte man in den vergangenen Tagen zuhauf in der lokalen und regionalen Presse lesen. Die Botschaft ist klar: Der Landesvater hat ein Herz für Kinder, besonders für arme. Und weil das so ist, stellt er satte 400.000 Euro zur Verfügung, damit den armen Kindern geholfen werden kann. Endlich mal eine gute Nachricht.

Aber was war passiert? Jürgen Rüttgers stellt – vermutlich bei einem Hände-schüttel-und-Kinder-herz-Termine – fest, dass es viele Kinder und Jugendliche gibt, die ohne Frühstück zur Schule kommen und zuhause kein warmes Mittagessen bekommen. Da ist er überrascht, denn davon hat ihm noch niemand etwas gesagt. Aber vor allem findet er das als Christenmensch und Familienvater ganz schlimm. Also setzt er sich hin und schreibt einen „Brandbrief“ an die Bürgermeister, wie die Rheinische Post das nennt. In dem steht: „Um Kindern eine möglichst unbeschwerte Kindheit zu ermöglichen, brauchen wir alle diejenigen, die sich vor Ort haupt- oder ehrenamtlich stark machen für dieses Kind-sein-können.“ Also sollen dem MP die Kommunen diejenigen ehrenamtliche Helfer und Hilfseinrichtungen nennen, die Kindern zu ihrem Recht verhelfen, nämlich zu „einem gesunden und regelmäßigen Essen“. Denn diesen wiederum will nun Jürgen Rüttgers helfen.

Mit einer klitzekleinen Einschränkung: Er wolle sehen, „was ich im Rahmen meiner Möglichkeiten zum Wohl dieser Kinder Ihrer Stadt tun kann“, schreibt er wohlweislich. Ja, der arme Herr Rüttgers. Was soll er machen? Er hat ein gutes Herz, aber als Ministerpräsident hat man nicht so viele Möglichkeiten. Aus lauter Verzweiflung fiel ihm darum nichts anderes ein als der Fonds seiner Staatskanzlei für ehrenamtliche Arbeit.

Ach, Sie fragen sich, wofür Herr Rüttgers einer Regierung vorsteht mit Ministern und einem Haushaltsetat? Sie meinen, der Sozialminister oder die Schulministerin könnten für kostenloses Schulessen sorgen? Oder die Landesregierung könnte sich dafür einsetzen, dass der Hartz-Regelsatz für Essen endlich mehr als 2,55 Euro pro Tag beträgt? Natürlich wäre das möglich. Aber gäbe das so schöne Schlagzeilen?SUSANNE GANNOTT