: Klingende Fettnäpfchen
Falls es tatsächlich stimmt, dass sich Gegensätze anziehen, dann müssten J Moon und Snøffeltøffs aufeinander fliegen. Die eine ist Wahlberlinerin, stammt aus Italien, ihr Vater war ein berühmter Filmkomponist, und ihre Musik schlürft zurückhaltend durch Zwischentöne. Die anderen sind Zwangsberliner, stammen aus einer nördlichen Vorstadt der Hauptstadt, ihre Herkunft ist nicht weiter bemerkenswert, und ihre Musik klingt wie ein klanggewordenes, aber sehr lärmiges Fettnäpfchen.
Jessica Einaudis Vater heißt Ludovico, bekannt wurde er vor allem durch den Soundtrack für „Ziemlich beste Freunde“. Dass die Tochter, die 2012 von Mailand nach Berlin zog und sich J Moon nennt, einiges an Talent geerbt hat, hört man ihrem Debütalbum überdeutlich an. Die Songs von „Melt“ sind so geschmackvoll arrangiert , versiert eingespielt und mit so wohl temperierten Melodien ausgestattet, dass man fast schon verzweifelt nach Schwächen oder Fehlern sucht. Die Percussion dängelt, das Klavier klimpert freundlich, die Gitarren wissen zu gefallen. Nichts klingt hier gegen den Strich, widersprüchlich oder kantig. Hinter der Perfektion allerdings verstecken sich dann doch noch Brüche, mit ihrer ausgewiesen schönen Stimme singt Einaudi von allerlei Obsessionen, von Laserstrahlen, die aus ihren Fingern schießen, oder von Menschen, die aussehen wie Teppiche. Die Faszination entsteht aus der unaufgelösten Differenz zwischen den beiden Polen.
Über die Väter von Florian und Julian ist nichts bekannt. Talent haben sei trotzdem, ein sehr lautes sogar. Für ihre Musik haben sie die ebenso fetzige wie treffende Schublade Shit-Fi-Garage-Rock erfunden. Soll heißen: Die Garagenrocker aus den Sixties klangen scheiße, weil ihr Equipment nichts taugte und die Übungsraumgarage eine miese Akustik hatte. Snøffeltøffs klingen scheiße, weil sie scheiße klingen wollen. Dass „Hokus Pokus“ trotzdem mehr ist als der verzweifelte Versuch von ein paar Vorstadtkids, toten Legenden nachzueifern, liegt an den Melodien, die sich bisweilen aus dem Lärm herausschälen. Wie im Mülleimer verlorene Blumen. Dass das nicht bloß glücklicher Zufall ist, sondern Absicht, beweist ein Song wie „Beach Dreams“, der Brian Wilson womöglich vor seinem in den Wahnsinn führenden Perfektionismus bewahrt hätte. Auch hier innermusikalische Gegensätze, die sich prima ergänzen.
THOMAS WINKLER
■ J Moon: „Melt“ (Bosworth/Broken Silence), Record Release Party am 5. 11. im Kaffee Burger
■ Snøffeltøffs: „Hokus Pokus“ (Snowhite/Rough Trade), live am 31. 10. im Bang Bang Club