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Archiv-Artikel

Ein schnittiges Format

Wie der Faden in die Nadel kommt: Heute startet auf dem Fernsehsender FAB die zweite Staffel der Doku-Soap „Vernäht und zugestrickt“ – ein Besuch bei den Dreharbeiten für die Nähkurs-Schau

LUCIA JAY VON SELDENECK

Als ich den Klamottenladen „Killerbeast“ an der Schlesischen Straße betrete, denke ich erst, ich bin falsch hier. Der vordere Ladenteil mit den selbstgenähten Kleidern, T-Shirts und Hosen auf Ständern und Regalen ist dunkel und verlassen. Ich gehe noch hinten durch, und da wird es plötzlich eng und hell: Scheinwerfer und Kameras reihen sich dicht an dicht, im Zentrum steht gleißend angestrahlt ein Tisch, auf ihm eine Nähmaschine. An der sitzt Claudia Weiler und legt gerade den Kopf in den Nacken. „Wo waren wir stehen geblieben?“, fragt jemand. Claudia Weiler kann aber gerade nicht antworten. Ihr gespitzter Mund wird von einem knallroten Lippenstift bemalt. „Moment“ nuschelt sie, es hört sich an wie: „Mnt“.

Ich bin am Set der Handarbeitssoap „Vernäht und zugestrickt“, die im Berliner Lokalsender FAB läuft. „Soll ich den Faden jetzt noch mal einfädeln?“ fragt Claudia Weiler, als ihr Mund fertig ist, in die Richtung, aus der das Licht sie blendet. Regisseur Kim Sofer antwortet aus der Ecke: „Am besten erklärst du jetzt erst mal, wie die Maschine funktioniert. Vor allem: wie man sie pflegt.“ Ohne lange zu überlegen oder in ein Drehbuch zu gucken, erklärt die 42-jährige Nähkursleiterin dann in die Kamera, wie man eine Nähmaschine bedient. Ihre Stimme bekommt einen strengen Unterton: „Das Nadeleinsetzen habt ihr ja bereits gelernt.“ Dann fährt sie in etwas milderer Stimmlage fort: „Aber ich zeig es jetzt noch einmal.“ Und Schritt für Schritt filmt die Kamera, wie Claudia Weilers Hände die Nadel an der Nähmaschine befestigen.

Heute beginnt die zweite Staffel von „Vernäht und zugestrickt“ mit sechs neuen Folgen. Die Geschichten in der Doku-Soap kreisen immer um ein Handarbeitsthema. In einer Folge zum Beispiel zeigt Lehrerin Claudia Schüler Paul, wie er den Stoff zuschneiden muss, um daraus einen Baby-Schlafsack für Freunde zu nähen. Derweil sitzt Mitschülerin Anabelle ihm gegenüber und hat Probleme, das Garn auf die Maschinenrolle zu spulen. Claudia erklärt es ihr – und die Kamera hält voll drauf, damit nicht nur Anabelle etwas lernt, sondern die Fernsehzuschauer auch.

Aber eine Soap ist eine Soap, und deswegen passiert in jeder halbstündigen Folge neben Garneinfädeln, Staffieren und Knöpfeannähen noch einiges mehr. Paul und Anabelle sind die fiktiven Figuren der Serie: Paul ist ein Möchtegern-Alleskönner, der auch mal vor der Kamera mit großer Geste Saltimbocca kocht, aber eigentlich im Nähkurs eine Frau kennen lernen möchte. Anabelle ist das stille Mäuschen, das es aber – wie sollte es anders sein – faustdick hinter den Ohren hat. Nur Claudia und Simone tauchen in den Geschichten als diejenigen auf, die sie auch wirklich sind: Claudia gibt Nähkurse in ihrem Laden „Killerbeast“, und ihre langjährige Freundin Simone ist wie sie im Wrangelkiez zu Hause und engagiert sich in sozialen Projekten.

„Die Serie soll wie unser wirkliches Leben sein“, erklärt die Hauptdarstellerin und Miterfinderin Weiler. „Der einzige Unterschied ist, dass ich hier stärker geschminkt bin.“ Sie formt mit ihren roten Lippen einen Kussmund und lächelt verschmitzt. Die Ideen für die Geschichten rund um die Lehreinheiten kommen auch aus dem wirklichen Leben und werden ohne große Umschweife und vor allem ohne Drehbuch vor der Kamera nachgespielt. Die Geschichten sind dadurch einfacher gestrickt, wirken weniger inszeniert und dadurch glaubhafter. Vielleicht so, wie man sich eine selbstgemachte Kiez-Soap aus SO 36 eben vorstellt. „Wir nehmen herkömmliche Fernsehserien auch ein Stück weit auf den Arm“, sagt Regisseur Kim Sofer.

Aber auch wenn die Serie bereits seit einem halben Jahr auf FAB läuft und die Geschichten rund um die erdachten Figuren eine gewissen Eigendynamik entwickelt haben: Für die Macher steht das Nähen nach wie vor an erster Stelle. Heute wisse doch kaum noch jemand, wie einfach es ist, sich aus einem alten Tuch oder T-Shirt einen Rock zu nähen, sagen sie. Wie das geht, sieht man sowohl an den bunten und reichlich schrägen Unikaten in Claudia Weilers Geschäft „Killerbeast“ als auch in den Sendungen: Mit viel Herzblut und der Selbstverständlichkeit, die man spürt, wenn jemand einfach sein Ding macht.

Dass das Format „Vernäht und zugestrickt“ auch tatsächlich ihr eigenes Ding bleibt, daran ist den Machern und ihrem Team aus lauter Freunden auch sehr gelegen: Kürzlich wollte ein Privatsender mit drei Buchstaben ihnen das Format sogar abkaufen – aber sie retteten ihre Idee und verhinderten eine herausgeputzte Näh-Nanny. Für die zweite Staffel haben sie nun das dem Handwerken stärker verbundene Medienhaus Burda für Unterstützung gewonnen. Und die Soap darf bleiben, wie sie ist.

Die neue Staffel läuft ab heute auf FAB: Mo., 18.05 Uhr, Mi., 21.30 Uhr, So., 16.30 Uhr. Infos und Sendungsarchiv: www.vernaehtundzugestrickt.de