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Archiv-Artikel

Übernahmefantasie schlägt dröge Bilanz

Der Boom an der Börse hat mit den realen Entwicklungen in der Wirtschaft herzlich wenig gemein

Börsenhändler interessieren sich für die Gewinne der Konzerne, nicht für die Volkswirtschaft

BERLIN taz ■ Nicht nur die Börse boomt, auch die reale Wirtschaft brummt. Um 3,3 Prozent wuchs die deutsche Wirtschaft im ersten Quartal 2007. Auch die Exportwirtschaft legt kräftig zu dank der steigenden Nachfrage aus dem Ausland. Es geht uns gut, und das spiegelt sich eben an der Börse wider. Ein solider Boom also – oder etwa nicht?

Seltsam nur, dass der Deutsche Aktienindex (DAX) schon seit 2003 stieg – im vergangenen Jahr sogar um 22 Prozent. Die deutsche Wirtschaft zog dagegen erst 2006 spürbar an, und das auch nur mit einer Wachstumsrate von 2,7 Prozent. Zugegeben, Börsenhändler interessieren sich weniger für die Volkswirtschaft als Ganzes als vielmehr für die Gewinne der Aktiengesellschaften. Und die haben sich tatsächlich stark nach oben entwickelt, auch wenn ein Teil des Zuwachses durch veränderte Bilanzierungsregeln zustande kam.

Zu denken geben sollte, dass die jüngsten Kursentwicklungen nur selten direkt mit der realen Konjunkturentwicklung oder mit realen Unternehmenszahlen in Zusammenhang gebracht werden. Übernahmefantasien zählen bei der Kursentwicklung mehr als dröge Bilanzen. Und dass die Übernahmen größtenteils auf Pump finanziert sind, macht an der Börse anscheinend niemandem Sorgen. Und dass der private Konsum in Deutschland im ersten Quartal um 1,4 Prozent geschrumpft ist – egal.

Bezeichnenderweise boomt die Börse selbst da, wo die konjunkturelle Entwicklung gar nicht so positiv ist – in den USA nämlich. Der US-Aktienindex S&P 500 hat vergangene Woche noch vor dem DAX ein neues Allzeithoch erreicht. Zeitgleich wurde bekannt, dass das amerikanische Wirtschaftswachstum im ersten Quartal 2007 auf 0,6 Prozent herunterkorrigiert werden muss, den niedrigsten Stand seit dem Krisenjahr 2002. Hierzulande macht man sich darüber keine Sorgen. Es gilt vielmehr als Beweis, dass sich die europäische Wirtschaft von der US-Konjunktur abgekoppelt habe. Allerdings muss im nächsten Moment eine kleine Meldung aus den USA, nämlich dass die Stimmung unter den Einkaufsmanagern im Großraum Chicago deutlich verbessert sei, in Frankfurt als Begründung für weitere Aktienkäufe herhalten.

NICOLA LIEBERT