: „Das Leid sieht man nicht“
Auf dem G-8-Gipfel, der heute beginnt, soll Afrika im Mittelpunkt stehen. In Berlin fehlt es derweil an Information und Therapien für HIV-infizierte und aidskranke AfrikanerInnen, sagt Rosaline Mbayo
ROSALINE MBAYO, 43, kam vor 20 Jahren aus Sierra Leone zum Studium nach Berlin. Sie ist Sozialarbeiterin im Projekt „Afrikaherz“ beim Verband für interkulturelle Arbeit Berlin-Brandenburg e. V. „Afrikaherz“ ist das einzige Projekt, das in Berlin Aids-und HIV-Aufklärungsarbeit für afrikanische Migranten anbietet.
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INTERVIEW WALTRAUD SCHWAB
taz: Frau Mbayo, Afrika und Aids stehen auf der Agenda des G-8-Gipfels in Heiligendamm, der heute beginnt. Wie aber geht es den aidskranken und HIV-infizierten Afrikanern und Afrikanerinnen in Berlin?
Rosaline Mbayo: Es kommt natürlich immer auf den Aufenthaltsstatus der Betroffenen an. Und darauf, wie lange sie schon in Deutschland sind, wie gut sie sich verständigen können. Betroffene, die in Asylbewerberheimen leben, haben es jedenfalls sehr schwer. Sie sind Stigmatisierungen ausgesetzt, wenn bekannt wird, dass sie Medikamente nehmen. Außerdem ist ihre Ernährungslage schlecht.
Warum?
Aidskranke brauchen gesundes Essen. In manchen Heimen gibt es aber nur fertige Vollverpflegung. Die Bewohner bekommen dazu 40 Euro Taschengeld im Monat. Damit ist keine gesunde Ernährung möglich. Psychisch macht den Betroffenen auch die Residenzpflicht Probleme. Vor allem, wenn sie in Heimen in Brandenburg wohnen. Das treibt sie in die Isolation, weil sie den Ort nicht verlassen dürfen.
In Berlin auch?
Gut, bei den Leuten in Berlin kann man nicht so sehr von Isolation sprechen. Aber hier werden viele von den eigenen Communitys ausgegrenzt, weil Aids und HIV Tabus sind. Viele Afrikaner sind nicht aufgeklärt. Sie wissen nicht, was HIV ist und wie die Übertragung funktioniert. Sie haben Angst, sich anzustecken. Deshalb schließen sie die HIV-Infizierten und Aidskranken aus.
Wie viele Betroffene gibt es in Berlin?
Zahlen sind schwer zu bekommen. Wir sind die einzige Aids-Beratung für afrikanische Asylbewerber und Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus. Afrikaner mit deutschem Pass haben andere Hilfsmöglichkeiten. Was ich sagen kann: Ich arbeite seit 1999 in diesem Bereich. Anfänglich haben wir vor allem Betroffene aus Ostafrika beraten. Mit der Zeit kamen immer mehr Menschen aus Westafrika. So sind die Verbreitungswege.
In Afrika kommen nur jeder und jede vierte Betroffene in den Genuss antiviraler, lebensverlängernder Medikamente. Gibt es in Berlin auch Kranke und Infizierte, die nicht behandelt werden?
Wenn HIV-Positive zu uns kommen, deren Viruslast eine bestimmte Höhe noch nicht erreicht hat, dann bekommen sie keine antiviralen Mittel. Aber sie haben auch nur einen erschwerten Zugang zu präventiver Gesundheitsversorgung. Vor allem, wenn sie nicht versichert sind und ihr Aufenthaltsstatus ungeklärt ist. Erst wenn Aids ausgebrochen ist, greifen die Leistungen für Asylbewerber. Dann hat ein Betroffener mitunter die Möglichkeit, eine Duldung zu bekommen und eine Therapie.
Sind Aids und HIV eigentlich auch Fluchtgründe?
Für manche Menschen schon. Sie kommen, weil sie nicht sterben wollen. Weil sie denken, hier ist die Chance auf eine Therapie größer als in Afrika. Obwohl die Ausländerbehörde auch Aidskranke abschiebt mit der Behauptung, in den Herkunftsländern gebe es Behandlungsmöglichkeiten. Wir haben Klienten, die abgeschoben wurden und dann verstorben sind.
Viele Frauen in Afrika seien infiziert, geht aus Studien hervor, weil Kondome unpopulär seien und es viele Vergewaltigungen gebe. Ist das pure Propaganda?
Es ist nicht zu 100 Prozent Propaganda. Es gibt dort ja viele Kriege, und Vergewaltigung im Krieg ist eine Waffe. Was das zivile Leben angeht: Kondome sind unter Afrikanern unbeliebt. Es gibt aber auch deutsche Frauen, die nicht wollen, dass ihre infizierten, afrikanischen Männer Kondome benutzen. Dazu kommt, dass Afrikaner und Afrikanerinnen in der Regel einen ausgeprägten Kinderwunsch haben. Das ist natürlich sehr riskant. Durch Medikamente und Kaiserschnitt kann man eventuell verhindern, dass das Kind einer HIV-positiven Mutter selbst HIV-positiv wird. Haben sie dann ein Kind, ist es für afrikanische Mütter sehr schwer, nicht zu stillen. Das dürfen sie ja nicht.
Was fordern Sie von den G-8-Mitgliedern, die sich in Heiligendamm treffen, für Afrika?
Sie sollen nicht länger zulassen, dass an Betroffenen in südafrikanischen Townships Medikamente erforscht werden, sondern die Patente freigeben. Alles andere ist für mich keine Hilfe.
Was muss sich in Berlin verbessern?
Die ganze Integrationspolitik muss auf den Prüfstand. Wie kann man denn von einem HIV-positiven Flüchtling verlangen, dass er Arbeit nachweist, um hier bleiben zu dürfen? Aber auch die Primärprävention muss verbessert werden. Die Betroffenen leiden, aber man sieht ihr Leid hier nicht. Man sieht immer nur die Bilder aus Afrika.