: „Wir leben in einem Widerspruch“
Die G 8 sind nicht legitimiert, Beschlüsse über den Rest der Welt zu fassen, sagt Sibylle Gundert-Hock. Trotzdem müsse man sich mit ihrer Politik beschäftigen. Auf einem Alternativgipfel diskutieren G-8-Gegner eine gerechtere Globalisierung
Um die Inhalte des Protests und mögliche Alternativen zur Politik der G 8 geht es bis Donnerstag auf dem Alternativgipfel in der Rostocker Innenstadt. In rund 120 Workshops wird diskutiert: Wie wirkt die europäische Handelspolitik in Afrika? Was kann Chavez’ neue Bank des Südens leisten? Was bedeutet Klimagerechtigkeit? Wie viele Menschen an dem Kongress teilnehmen, ist unklar, die Veranstalter haben auf ein Anmeldeverfahren verzichtet. Antje von Broock von der Umweltorganisation BUND rechnet mit 1.500 Teilnehmern. Begonnen hat der Gegengipfel am Dienstagabend mit einer Rede des UN-Sonderberichterstatters für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler. Er endet am Donnerstag mit einem Vortrag der indischen Frauenrechtlerin Vandana Shiva. NF
INTERVIEW NICOLAI FICHTNER
taz: Frau Gundert-Hock, nach den Ausschreitungen von Samstag reden alle von Gewalt. Wie wollen Sie da noch mit Inhalten durchdringen?
Sibylle Gundert-Hock: Es ist auf jeden Fall schwieriger geworden. Ich werde jetzt immer zuerst nach den Vorfällen am Stadthafen gefragt.
Ärgern Sie sich über die Gewalttäter?
Ich bin sauer. Ich finde dieses Verhalten verantwortungslos – gegenüber den Menschen, auf die sie losgegangen sind, aber auch gegenüber unseren inhaltlichen Anliegen. Die müssen wir jetzt noch stärker herausstellen. Wir müssen der Öffentlichkeit zeigen, warum wir G-8-Kritikerinnen und Kritiker sind: weil die Zustände kritikwürdig sind und weil es Alternativen gibt.
Welche Funktion hat der Alternativgipfel?
Er ist der Ort, an dem die internationale globalisierungskritische Bewegung kontrovers diskutiert, sich austauscht und vernetzt. Gleichzeitig geht es darum, die inhaltliche Debatte in die Bevölkerung zu tragen. Das ist mir als Rostockerin besonders wichtig.
Was halten denn die Rostocker vom Alternativgipfel?
Aus meinem Umfeld höre ich, dass durchaus Interesse da ist. Dabei helfen die Tagungsorte: Mehr als ein Drittel der Veranstaltungen finden in Kirchenräumen statt, die großen Podiumsdiskussionen in der Nikolaikirche, die ein sehr präsenter Ort in dieser Stadt ist. Da gehen auch Leute hin, die nicht unbedingt die Camps oder die Bühne am Stadthafen besuchen würden.
Was stört Sie so sehr am G-8-Gipfel, dass Sie eineinhalb Jahre für einen Alternativgipfel arbeiten?
Acht Regierungschefs, die nur 13 Prozent der Menschheit vertreten, fällen dort Beschlüsse, die 100 Prozent der Menschheit betreffen. Das ist nicht legitim. Außerdem wird die neoliberale Globalisierung, wie wir sie heute kennen, besonders von den G 8 gestärkt und gesteuert.
Einerseits wollen Sie, dass der G-8-Gipfel Politik in Ihrem Sinne macht, andererseits sprechen Sie ihm die Legitimität ab?
Wir leben in diesem Widerspruch. Aber wir kennen ja alle den Satz von Adorno: Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Die wichtigen Themen dieser Welt gehören nicht in die G 8, sondern in andere Foren. Aber die G 8 ist da und greift diese Themen auf. Da finde ich es sinnvoll, auch inhaltlichen Druck auszuüben.
Um welche Inhalte geht es Ihnen?
Vor allem um eine neue Klimapolitik, aber auch um eine Neuordnung der Finanzmärkte, die Entschuldung der armen Länder oder die Stärkung der Vereinten Nationen.
SIBYLLE GUNDERT-HOCK, 51, koordiniert den Eine-Welt-Landesverband Meck-Pomm und ist Mitorganisatorin des Alternativgipfels.
Was würden Sie sich denn in Sachen bessere Welt vom offiziellen Gipfel wünschen?
Eine Regulierung der Hedge-Fonds. Wie wichtig das ist, hat die Bundesregierung auch ansatzweise erkannt. Diese Debatte müsste vorangetrieben werden.
Die Bundeskanzlerin hat gesagt, sie wird die Leute, die friedlich protestieren, auch anhören. Haben Sie das Gefühl, gehört zu werden?
Vielleicht nicht während des Gipfels, aber vorher und nachher. Dafür sind diese Gipfel ja auch immer gut.
Was wird nach dem Gipfel?
Nach den Ausschreitungen am Rande der Großdemo sind viele Rostockerinnen und Rostocker empört und haben auch Angst. Einerseits gibt es eine große Bereitschaft, differenziert hinzugucken. Andererseits bekomme ich viele anklagende Mails, in denen es heißt: Wie konntet ihr euch so für den Protest engagieren? Das mit der Gewalt war doch schon vorher klar. Viele meiner Kollegen im Organisationsteam werden nach dem Gipfel aus Rostock verschwinden. Der Unmut bleibt dann an uns Rostockern hängen, das ist nicht gut.