: Nachstellungen
FOTO I Den Bildern nicht trauen: Arwed Messmer zeigt im Haus am Kleistpark mit „Reenactment MfS“ Bildinszenierungen der Stasi
■ Gerade ist Halbzeit beim 6. Europäischen Monat der Fotografie Berlin, beim größten deutschen Fotofestival, dessen Fülle an fotografischem Angebot mit mehr als 130 Ausstellungen auf dieser Seite – beide hier besprochenen Ausstellungen sind Teil des Monats der Fotografie – nur schlaglichtartig beleuchtet werden kann.
■ Nach dem Vorbild des Pariser Mois de la Photo fand das Festival erstmals 2004 in Berlin statt. Alle zwei Jahre präsentieren seither zahlreiche Museen, Galerien, Fotoschulen und Kulturinstitutionen in Berlin und Potsdam Ausstellungen, Gespräche und Workshops zu historischer und zeitgenössischer Fotografie. Das zehnjährige Jubiläum steht unter dem Motto „Umbrüche und Utopien. Das andere Europa“.
■ Der Fotografiemonat begann am 16. Oktober und dauert noch bis zum 16. November (teils laufen die Ausstellungen weit darüber hinaus). Heute am Samstag findet um 18 Uhr die Finissage der „Dislocated“-Schau in der Absolutplus Galerie, Schliemannstr. 10 statt. Am Sonntag gibt es um 11 Uhr im Mitte Museum, Pankstraße 47, die Vernissage der Ausstellung mit Köpenick-Aufnahmen von Karl-Ludwig Lange. Mehr Programm: www.mdf-berlin.de
VON INGO AREND
Ein junger Mann in Kampfuniform liegt dahingestreckt auf dem Boden, neben ihm sein Gewehr. Die Arme sind seltsam quer über der Brust verschränkt, die Augen geschlossen, aus dem Hosenbund und der Hüfte quillt Blut. Das Bild sieht aus wie ein typisches Foto vom Tatort eines Verbrechens oder ein Dokument kriminalistischer Spurensicherung. Nur ein Detail irritiert: In einer Hosentasche des Toten steckt eine frische Orange.
Gefunden hat Arwed Messmer diese Aufnahme in den Archiven der DDR-Staatssicherheit. Zwei Jahre dauerte seine Spurensuche über gescheiterte Fluchtversuche an der Berliner Mauer. Dabei fand der Berliner Fotograf unzählige Dokumente wie die Aufnahme, die jetzt in der Ausstellung „Reenactment MfS“ im Haus am Kleistpark zu sehen ist. Fotos, die aufgeschlitzte Rückbänke von Pkws, einen selbstgebastelten Schwimmkörper aus Autoschläuchen oder von Schüssen durchsiebte Abdeckungen von Kofferräumen zeigen.
Messmer ist ein Ost-West-Grenzgänger besonderer Art. 1964 im baden-württembergischen Schopfheim geboren, faszinierte ihn früh das lebende Geschichtsmuseum Berlin. Seit er zur Jahreswende 1991/92, kurz nach dem Mauerfall, in die Stadt kam, untersucht er das Verhältnis von Bild und Wirklichkeit an diesem magischen Objekt. Ende 2008 zeigte er die Panoramafotografien, die der Ostberliner Fotograf Fritz Tiedemann in den Jahren 1949 bis 1952 vom Berlin der Nachkriegszeit gemacht hatte. In seinem neuesten Projekt präsentiert er ein historisches Trauma – wieder aus einem ungewohnten, ziemlich fremden Blick.
Unter „Reenactment“ versteht man eigentlich die Nachstellung vergangener Ereignisse, bei denen die Zuschauer zu Zeugen oder auch Teilnehmern historischer Geschehnisse werden. Dass Messmer seine fotografische Spurensicherung mit diesem Terminus technicus postmoderner Kunstproduktion belegt, bedeutet nicht, dass er die Schergen von Erich Mielkes MfS – dem berüchtigten Ministerium für Staatssicherheit – nachträglich in einen künstlerischen Rang erheben will.
Künstler wie Jeremy Deller, Pierre Huyghe oder Artur Zmijewski benutzen das „Reenactment“, um mittels Bildern, Objekten oder Performances die traumatische Bedeutung bestimmter Ereignisse für die Gegenwart ins Gedächtnis zu rufen. Oder um zu untersuchen, wie sie medial vermittelt sind.
Die DDR-Staatssicherheit dagegen wollte die Bilder in ihren Inszenierungen auch propagandistisch ausschlachten. Der Soldat mit der Orange in der Uniformjacke war am 4. November 1980 von einem fahnenflüchtigen Kameraden getötet worden. Um die Ereignisse zu rekonstruieren, wurde der schon abtransportierte Tote wieder an den Fundort zurückgelegt und dort mehrere Stunden den westlichen Medien zur Schau gestellt. Ein anderes Beispiel war das „Reenactment“ des 1964 von den eigenen Leuten erschossenen Grenzsoldaten Egon Schultz. Die Nachstellung sollte den Tatverdacht auf einen Fluchthelfer lenken.
Messmer hat diese Fotos ohne Erklärungen oder Bildlegenden in die Ausstellungsräume gehängt. Viele Details sind freigestellt. Das Leiden der Opfer wird damit nicht zum freien künstlerischen Spielmaterial, auch wenn der Fotograf die Bilder des erschossenen Grenzsoldaten so in einem Triptychon präsentiert, dass es die ikonologische Tradition der Grablegung Christi aufruft.
Wer den Appendix der Ausstellung durchblättert, kann jede Aufnahme den Fotoabzügen und Negativen aus dem MfS-Archiv, und damit konkreten Menschen, zuordnen. Wahrscheinlich kann man sich aber auch ohne diese Lektüre vorstellen, was auf die fünfköpfige Familie zukam, die vor ihrem weißen Opel Admiral posieren musste, mit dem sie Ende September 1973 bei einem Fluchtversuch gefasst worden war. Allen steht die nackte Angst ins Gesicht geschrieben.
Gerade weil sie so banal sind: Im Jahr der 25. Wiederkehr des Mauerfalls sind Messmers MfS-Bilder ein eindrückliches Zeugnis der perfiden Selbstinszenierung des Terrors. Doch so dokumentarisch, so echt sie auch scheinen mögen – in einem Gedächtnisjahr, das uns mit einer Kaskade historischen Bildmaterials überschwemmt, halten sie zugleich die beunruhigende Botschaft bereit, niemals dem scheinbar authentischen Bild zu trauen.
■ Arwed Messmer: „Reenactment MfS“, Haus am Kleistpark, Grunewaldstraße 6, bis 14. 12., Di.–So., 10–19 Uhr, Eintritt frei