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Archiv-Artikel

Am Tor zur Hölle

MISSION Jonathan Kavuke beaufsichtigt einen der gefährlichsten Vulkane – mit uraltem Gerät, fast ohne Lohn

Der Feuerberg

■  Der Vulkan: Der Nyiragongo liegt auf 3.470 Meter Höhe in der Demokratischen Republik Kongo, an der Grenze zu Ruanda. In seinem Innern glüht ein See aus 1.200 Grad heißer Lava.

■  Die Gefahr: 2002 starben in den Lavamassen des Nyiragongo mehr als hundert Bewohner von Goma. Kaum ein anderer Vulkan bedroht so viele Menschen so unmittelbar. Der Nyiragongo könnte jederzeit ausbrechen, die dünnflüssige Lava fließt viel schneller als die anderer Vulkane – wie etwa die Glut des Vesuv in Italien, die des Merapi in Indonesien oder die des Pinatubo auf den Philippinnen.

■  Die Forscher: Der Vulkanologe Jonathan Kavuke und seine Kollegen befassen sich am Vulkanobservatorium Goma mit dem Nyiragongo. Auch in Belgien, am Königlichen Museum für Zentralafrika und an der Universität von Lüttich, beobachten Wissenschaftler den Vulkan – per Radar.

VOM NYIRAGONGO SIMONE SCHLINDWEIN UND YANNICK TYLLE (FOTOS)

Bevor Jonathan Kavuke aufbricht, um fast eine Million Menschen vor der Glut zu bewahren, hievt er den sperrigen Koffer aus dem Jeep und setzt ihn noch einmal kurz im Gras ab. Vorsichtig öffnet der Physiker das Behältnis, das aussieht wie ein Geigenkasten. Von innen ist es mit Schaumstoff gepolstert. In den Kuhlen liegen Eisenrohre, ein Kompass und verstaubte Messgeräte – Instrumente, mit denen sich die Gase und Schwingungen im Innern der Erde feststellen lassen. Kavukes wertvolles Arbeitsgerät. Mit einem Tuch wischt er den Staub weg, klappt den Koffer zu und reicht ihn einem Träger: „Pass bloß auf, dass du ihn nicht fallen lässt!“

Der Junge nickt und stapft los, einen schmalen Trampelpfad entlang, durchs Dickicht des Dschungels den Berg hinauf.

Es ist früh am Morgen. Jonathan Kavuke, 32 Jahre alt, und sein Team beginnen ihre Tour zum Gipfel des gewaltigen Nyiragongo-Vulkans, zwölf Kilometer von Goma entfernt, fast eine Million Menschen leben dort. Der Vulkan liegt 3.470 Meter über dem Meeresspiegel, im Osten der Demokratischen Republik Kongo. 1.600 Höhenmeter müssen Kavuke und seine Männer überwinden. Ein sieben Stunden langer Gewaltmarsch. Sie starten eine Forschungsmission, die einmal Leben retten könnte – und riskieren dafür ihre eigenen.

Ihr Weg wird sie von der Eingangsstation des Virunga-Nationalparks durch den Regenwald mit den jahrtausendealten Mahagoni-Bäumen führen. Sie könnten auf Berggorillas treffen – oder auf Rebellen. Doch zunächst plagen Jonathan Kavuke andere Sorgen. Mit zusammengekniffenen Augen schaut er den Berg hinauf.

Grauschwarzer Rauch steigt aus dem Krater, verdichtet sich zu einer dunklen Wolke. „Hoffentlich regnet es oben nicht“, murmelt er. Dann schnürt er seine Wanderschuhe zu und gibt den Parkwächtern ein Zeichen. Fünf Männer in grasgrünen Uniformen und Gummistiefeln greifen nach ihren Kalaschnikows. Falls Rebellen aus dem Hinterhalt angreifen. Der Größte geht voraus, die Übrigen bilden die Nachhut. Sie sollen die Träger schützen, die im Gänsemarsch Holzkohle, Lebensmittel und den unhandlichen Gerätekoffer den Berg hinaufschleppen.

Im dichten Regenwald zwischen den Vulkanbergen verstecken sich verschiedene Rebellengruppen. In den vergangenen zehn Jahren haben sie der Parkverwaltung zufolge 160 Parkwächter getötet. Doch der Vulkanologe hat keine Wahl: Die letzten Messungen sind mehrere Monate alt. Höchste Zeit, den Aufstieg zu riskieren.

Neben dem Vesuv in Italien gilt der Nyiragongo als der aktivste Vulkan der Welt. Kongos Feuerberg birgt einen See aus Lava, der jährlich fünfzig Meter ansteigt. Alle zehn bis zwanzig Jahre bricht er aus, zuletzt am 17. Januar 2002. Damals schoss die Lava mit hundert Stundenkilometern den Hang hinab und floss nach zwanzig Minuten schon durch die Straßen von Goma. Die Lava ist dünnflüssig, das ist typisch für den Nyiragongo. Der hundert Meter breite, glühend heiße Strom zerstörte Häuser und die Bretterbuden auf dem großen Marktplatz im Zentrum. Nur die Frontfassade der steinernen Kirche hielt den zwei Meter dicken Lavamassen stand. Fast eine halbe Million Menschen flüchteten über die Grenze nach Ruanda. Der Lavastrom hinterließ eine Furche der Zerstörung. Mitten im Stadtzentrum türmen sich noch heute tonnenschwere schwarze Lavaklumpen. Neben der Rollbahn des Flughafens stehen wieder windschiefe Hütten auf schwarzgrauem Kieselgrund. Die Asche ist mit Asphalt zugekleistert.

Dort wo die Lava einst in den Kivu-See rann, haben die Anwohner aus Wackersteinen und Mörtel ihre Häuser wieder aufgebaut. Dennoch kämpfen Gomas Einwohner auch neun Jahre später mit den Folgen des Ausbruchs: Während der tropischen Regenzeit stapfen sie durch schwarze, schlammige Pfützen. Während der Trockenzeit atmen sie feinen Aschestaub ein.

Wenn sie über die Häuser der Stadt blicken, sehen sie ihn: Wie ein gewaltiger Hochofen thront der Vulkan über der Stadt. In der Dämmerung kann man die Lava rot leuchten sehen. Eines ist sicher: Der nächste Ausbruch kommt. Nur wann?

Nach zwei Stunden stößt Jonathan Kavuke im dichten Urwald auf eine Schneise verkohlter Baumstämme und getrockneter Lava. Auf losen, scharfkantigen Wackersteinen klettert er weiter. Die Schwüle des Dschungels weicht einem kühlen Wind und feinem Nieselregen. Der kleine Mann mit dem runden Gesicht stülpt sich eine Wollmütze über den kahlen Kopf. Nebel schwebt ihnen entgegen. Die Luft wird dünner. Kavuke keucht, aber er gönnt sich keine Pause.

„Das ist das Tor zur Hölle“, sagt Kavuke und lacht

Auf 2.500 Metern über null macht er vor einer Spalte Halt. Aus dem Schlund steigt Rauch. Es riecht nach faulen Eiern. „Schwefelgase aus dem Erdinneren“, erklärt der Vulkanologe. Aufgeregt winkt er den Träger heran. Kavuke kramt das Eisenrohr aus dem Koffer, steckt einen Schlauch darauf und verbindet das Rohr so mit dem Messgerät. Dann hält er die Eisenstange in den Abgrund. Es piept: „Die Schwefelkonzentration ist gestiegen“, stellt Kavuke fest und schaut ins Tal.

Wie ein Riss läuft die Spalte den Hang hinunter: im Zickzack durch einen erkalteten Nebenkrater des Vulkans, ins Tal, dann ins Stadtzentrum. Die Spalte hatte sich kurz vor dem Ausbruch 2002 während eines Erdbebens geöffnet. Die Lava spritzte daraufhin mit gewaltigem Druck aus der Flanke heraus. Der heiße Sud zerstörte Goma, tötete mehr als hundert Menschen, machte mehr als 100.000 obdachlos. Kavuke ist sicher: Auch beim nächsten Ausbruch wird die Lava aus dieser Spalte bersten. Er hebt einen Stein auf und lässt ihn fallen, horcht – es bleibt still, kein Aufprall. Womöglich reicht die Spalte bis in den Erdmantel: „Das ist das Tor zu Hölle“, sagt Kavuke und lacht. Der feuerspeiende Berg liegt im Albertinengraben, wo mitten auf dem afrikanischen Kontinent langsam, aber stetig die Erdplatten auseinanderdriften. Vulkane und tiefe Seen reihen sich hier aneinander. Im Kivu-See fünfzehn Kilometer südlich des Nyiragongo haben sich wegen der vulkanischen Aktivitäten Gase wie Kohlendioxid und Methan gelöst. Bei einer Eruption könnten sie aus den Tiefenschichten aufsteigen und die Einwohner Gomas zusätzlich bedrohen.

Kavuke holt eine kleine Box aus dem Koffer, greift nach der Hand des großen Parkwächters, der ihm nie von der Seite weicht, und lehnt sich weit über die Kante. Mit Drähten befestigt er den Temperaturmesser an der Seitenwand der Spalte. Alle zehn Minuten misst der nun die Temperatur des Gesteins und speichert sie auf einem Chip. So liefere er Informationen über die Aktivitäten im Erdinneren, sagt Kavuke: „Immer wenn ich hier vorbeikomme, installiere ich neue und nehme die alten mit, um die Daten auszuwerten.“

Seit fünf Jahren arbeitet Jonathan Kavuke am staatlichen Vulkanobservatorium in Goma. Er hat in Süd-Kivus Provinzhauptstadt Bukavu Physik studiert. Sein Job ist kein leichter in einem Land, das so bankrott ist, dass es sich aufwendige Forschung wie diese nicht leisten kann. Die altertümlichen Geräte, die Kavuke in dem Koffer mit sich schleppt, sind die einzigen Messinstrumente des Observatoriums. Nicht einmal hundert Dollar verdient der Familienvater im Monat – und das Gehalt sei seit Monaten nicht ausbezahlt worden. Nachts sitzt er trotzdem häufig an seinem Computer, um Berichte zu schreiben. Tagsüber gebe es zu oft Stromausfälle.

Als der Vulkan 2002 mitten im zweiten Kongokrieg ausbrach und hunderttausende Flüchtlinge aus ihren Lagern in Goma fliehen mussten, wurde auch die internationale Gemeinschaft auf die Bedrohung aufmerksam. Die Europäische Union investierte in ein Frühwarnsystem. Ausländische Forscher brachten moderne Technik nach Goma. Kavukes Kollegen errichteten sieben Messstationen im Wert von je 65.000 Dollar: mit Internetverbindung und Datenschreiber. Alle drei Minuten sendeten sie Messergebnisse ans Observatorium. Dadurch wurde vieles einfacher: Temperatur und Druck im Krater ließen sich vom Schreibtisch aus analysieren. Agenturen der Vereinten Nationen starteten mit dem Observatorium die Arbeiten an dem Frühwarnsystem.

Die Forscher definierten Alarmstufen: Grün, Gelb, Orange, Rot, und entwarfen einen Evakuierungsplan. Seitdem sind an den Verkehrsachsen Gomas Tafeln angebracht, die die Farbskala erklären. Radiostationen melden täglich die Alarmstufe. Als die Forscher den Berg hinaufsteigen, stehen die Signale auf Gelb.

Kavuke beginnt eine Mission, die einmal Leben retten könnte – und riskiert dafür sein eigenes

Doch das Frühwarnsystem funktioniert nicht mehr richtig. Im November 2008 plünderten Rebellen die Messstationen. Ohne neue Akkus und GPS-Systeme können keine Daten übermittelt werden. Deswegen stapft Kavuke nun regelmäßig den Feuerberg hinauf.

Internationale Wissenschaftler haben den Berg nur aus der Luft kontinuierlich im Blick: Mit Radarsatelliten tasten Forscher von Belgien aus den Boden rund um den Vulkan ab. Vor einem Ausbruch würde sich der Berg ausbeulen, glauben sie. Kavuke sieht lieber selbst nach.

Der Nebel hat sich verzogen. Es ist Nachmittag, fünf Stunden sind sie unterwegs. Die Sonne sticht. Kavuke hat seine Wollmütze abgezogen, Schweißperlen rinnen ihm über die Schläfen: „Eigentlich müsste ich ein Mal in der Woche hochklettern“, sagt er schnaufend. Doch das Observatorium kann sich die ganze Trägermannschaft nur alle ein bis zwei Monate leisten „Wenn ich nicht hochsteige, bringen wir fast eine Million Menschen in Gefahr“, sagt Kavuke. Erschöpft setzt er sich auf einen knorrigen, verkohlten Baumstamm neben dem Pfad aus Lavaklumpen. Die Steine kullern bei jedem Schritt unter den Füßen weg und machen das Klettern zur Qual. Mittlerweile hat sich der dichte Dschungel zu einem Wäldchen gelichtet. Bald sei die Baumgrenze erreicht, stellt Kavuke fest und zeigt auf eine Lichtung abgesägter Baumstümpfe: Hier hatten Rebellen vor dem Angriff auf Goma 2008 ihr Lager aufgeschlagen. „Wir trauten uns monatelang nicht auf den Vulkan“, erinnert er sich. Das Observatorium erhöhte die Alarmstufe damals auf Rot. „Die Rebellen verstehen nicht, dass sie bei einem Ausbruch die ersten Opfer wären“, sagt Kavuke. Er schüttelt den Kopf.

Bevor er den Nyiragongo besteigt, erkundigt er sich bei den UN-Blauhelmen, wo genau sich die Kämpfergruppen gerade befinden. Derzeit sind sie auf der Nordseite des Vulkans. Kavuke besteigt den Berg sicherheitshalber von Süden. Er guckt auf das GPS-Gerät: knapp 3.000 Höhenmeter. Noch rund 500 liegen vor ihm. „Wir sind nun auf Höhe des Lavasees“, sagt er und klingt aufgeregt. Der See brodle 500 Meter unterhalb der Kraterwand. Zum Beweis rupft Kavuke einige verkohlte Halme ab und riecht daran. Dann drückt er mit seinen Wanderschuhen das Gras zur Seite: Darunter befindet sich ein schwarzes Loch, groß wie ein Fußball. „Die Kraterwand ist an manchen Stellen so dünn, dass der Vulkan auch auf der Seite Feuer speit“, sagt er und stapft weiter. Als die Karawane aus Forscher, Trägern und Rangern die letzten Bäume hinter sich lässt, zieht wieder Nebel auf. Es ist kalt, unter zehn Grad. Die Grasbüschel weichen grauschwarzem Geröll. Noch hundert Höhenmeter. Später Nachmittag, es beginnt zu regnen. Die Lava unter Kavukes Sohlen wird zu glitschigem Matsch. „Die letzten Meter sind immer die schlimmsten.“

Kavuke sieht erschöpft aus. Doch dann erhascht er durch den Nebel einen Blick auf den Kraterrand: „Die Hütten sind fertig!“ Die Parkverwaltung hat mit Hilfe von Reiseunternehmen sechs kleine Holzhütten gebaut. Jede Latte, jeder Nagel, Bettgestelle und Matratzen mussten mühsam den Berg hinaufgeschleppt werden. Bislang übernachteten die Forscher in zugigen Zelten. Die neuen Unterkünfte sind der optimistische Versuch, Touristen auf Afrikas aktivsten Vulkan zu locken und dadurch Einnahmen zu erwirtschaften. Der seltene Lavasee zieht jüngst auch immer mehr internationale Wissenschaftler an – eine große Hilfe für Kavukes Forschung, denn die Vulkanologen bringen moderne Ausrüstung mit: Gasmasken und Schutzanzüge, um in den Krater hineinklettern zu können. Die schwarze Lackfarbe auf den Bodendielen der Hütten ist noch nicht ganz trocken, als Kavuke die Holztür aufreißt. Es regnet jetzt in Strömen, die Wolken sind so dicht, dass es schlagartig dunkel wird. Der Forscher huscht ins Trockene. Die Träger spannen zwischen zwei Hütten eine Plane auf und versuchen ein Feuer zu entfachen, um Tee zu kochen.

Drei Stunden später wird das Prasseln des Regens auf den Wellblechdächern schwächer. Kavuke springt sofort auf, stülpt die Mütze über und schnappt sich seine Digitalkamera.

Es ist kalt, ein eisiger Wind bläst. Feuerrotes Licht verdrängt die Dunkelheit. „Man hört die Lava blubbern“, flüstert Kavuke, während er auf Knien an den Kraterrand kriecht. Warmer Dampf steigt aus dem Vulkan. Dutzende Nächte hat Jonathan Kavuke schon an diesem wundersamen Ort verbracht und dem Brodeln der Lava zugesehen. Manchmal bleibt er fast eine Woche hier oben. „Wir sind sogar schon hinuntergeklettert, um Proben von der Lava zu nehmen“, erzählt Kavuke.

Dann schweigt er. Kauert auf der felsigen Kante. Starrt in die Tiefe. Unter ihm kocht die Lava, spritzt, blubbert, rauscht. Ein reines, tiefes Rot, voll gleißender Strudel. Sie blenden fast.

„Hier sind wir der Entstehungsgeschichte unseres Planeten ganz nah“, sagt Jonathan Kavuke.

Neben ihm steckt ein eisernes Kreuz schief in einer Felsspalte – in Gedenken an eine chinesische Touristin, die 2007 Fotos vom Lavasee knipste. Sie rutschte aus, fiel in den Krater und schlug hundert Meter weiter unten auf einem Felsvorsprung auf. Kavuke erinnert sich: „Sie lebte noch, wir konnten sehen, dass sie sich bewegte.“ Es war dunkel, der Krater voller Rauchschwaden. Als ein Hubschrauber der UNO die Chinesin am nächsten Tag bergen wollte, war sie tot.

Kavuke sitzt in dieser Nacht lange da. Schaut. Lauscht. Alle paar Minuten kracht eine Fontäne aus der Glut.

Am nächsten Morgen ist er früh auf den Beinen. Die Sonne schiebt sich über den Kraterrand. Mit jedem Strahl, der durch die Wolkendecke dringt, wird Kavukes Aussicht atemberaubender: Die wenigen Lichter Gomas gehen nach und nach aus. Der Kivu-See spiegelt die Farbtöne des Himmels. Über den Hügeln des Nachbarlands Ruanda liegt Dunst. Die Ranger und Träger stehen neben Kavuke. Schweigend starren sie ins Tal.

Dann zerrt Kavuke den schweren Koffer aus der Holzhütte. Zuerst legt er das GPS-Gerät auf eine markierte Stelle am Kraterrand: Er misst die Höhe immer von diesem Punkt aus, denn der Krater hebt und senkt sich, je nachdem wie viel Magma aus dem Inneren der Erde gepresst wird. 4.416 Meter sind es heute. „Der Lavasee steigt an“, stellt Kavuke fest. Dann rammt er das Eisenrohr in eine Spalte, aus der Dampf quillt. Von den Gasen lässt sich auf die Konsistenz der Lava schließen.

2002 schoss die glühende Lava den Hang hinunter und überrollte die Hütten und Straßen Gomas

Auf dem Display blinken Zahlen, die Kavuke in sein Notizbuch notiert. Kohlendioxidkonzentration: 3,1 Prozent. „Das ist nicht sehr hoch“, murmelt er. Er blättert zurück, um die Ergebnisse mit denen von vor zwei Monaten zu vergleichen. Damals waren es 3 Prozent. Ein minimaler Anstieg. „Zum Glück, denn bei 15 bis 20 Prozent wären wir hier bereits erstickt.“ Trockener Forscherhumor. Er schmunzelt.

Er klettert in den Krater – „den Planeten verstehen“

Mit einem Kompass richtet er einen schweren Kolben aus. Damit analysiert er die Magnetfelder unterhalb des Kraters. Die Ziffern, die Kavuke in sauberer Handschrift bis auf fünf Stellen hinter dem Komma in sein Notizbuch einträgt, sind für den Vulkanforscher Meilensteine.

Der Nyiragongo gilt im Vergleich zu anderen Vulkanen als fast unerforscht. Um die nächste Eruption vorhersagen zu können, müssten die Forscher neue Messungen mit alten vergleichen. „Doch vor dem Ausbruch 2002 hat mein Vorgänger wegen des Krieges den Vulkan nur selten besteigen können“, sagt Kavuke. Damals befand sich der Lavasee 300 Meter unterhalb des Kraterrandes, die Kohlendioxidkonzentration stieg jede Woche um mehrere Prozentpunkte. Vor dem Ausbruch 1977, zu Zeiten von Zaires Diktator Mobutu, gab es gar keine Messungen.

„Meine Aufgabe ist es, die Sprache unseres Planeten zu verstehen – anhand der Phänomene, die er uns hier präsentiert“, sagt Kavuke, während er Fotos von den Lavafontänen knippst. Steht also der nächste Ausbruch bald bevor? Auf Kavukes Stirn bilden sich Furchen. Er überlegt: Die Gefahr sei derzeit nicht sehr hoch. Der Lavasee steige langsam an: „Weil der Vulkan aber auf dem aktiven Rift steht, kann das irgendwann sehr schnell gehen.“ Sorgen bereitet ihm ein weiterer Vulkan: der Nyamuragira. Der aktive Krater liegt nördlich vom Nyiragongo. „Seit fast einem Jahr sind wir nicht mehr hochgestiegen, um zu messen“, sagt Kavuke. Rebellen kontrollieren den einzigen Pfad, der durch den dichten Dschungel hinaufführt. Jonathan Kavukes Chef bemüht sich, Kontakte zur Miliz aufzunehmen, damit Kavuke auch dort messen kann. Bislang muss er den Nyamuragira vom Nyiragongo aus beobachten.

Kavuke klettert die Kraterwand entlang, die neben ihm steil abbricht. „Ich habe immer Angst abzustürzen“, sagt er. Er muss eine bestimmte Stelle erreichen, um den Nyamuragira sehen zu können. Kavuke knippst Fotos vom rauchenden Schlot des Nachbarvulkans.

Dann packt er seine Geräte in den Koffer und steigt langsam wieder den Berg hinunter.

Simone Schlindwein, 31, Afrikakorrespondentin der taz, hat die kälteste Nacht ihres Lebens schlaflos am Nyiragongo verbracht

Yannick Tylle, 25, Geograf und Fotograf, war froh, dass er zwei Kameras, vier Objektive und Stativ nicht allein schleppen musste