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Archiv-Artikel

Der spannungsgeladene Dialog

Bei einem Podium zur Religionsfreiheit werfen Muslime der evangelischen Kirche Abgrenzung vor. Bischof Huber fordert mehr Selbstkritik von muslimischen Verbänden

„Respekt verdient nur, wer ihn gegenüber anderen erweist“

Auch das ist Kirchentag: Heute lädt die Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) in ihre alte baufällige Moschee nach Köln-Ehrenfeld. Das dortige Freitagsgebet mit Predigt in deutscher Sprache ist eine von zahlreichen Veranstaltungen, in denen sich die Kirchentagsbesucher mit dem Islam auseinander setzen können. Die Angebote zum interreligiösen Dialog gelten als die spannendsten im gesamten Programm – und die spannungsgeladensten. Denn es kracht derzeit gehörig im Verhältnis zwischen Protestanten und Muslimen.

Wie gereizt die Stimmung ist, ließ sich gestern auf der Podiumsdiskussion bewundern. Denn das orangene Tuch, das sie einträchtig um den Hals trugen, war eine der wenigen Gemeinsamkeiten, auf das sich alle Diskutanten verständigen konnten. In der Messehalle 3.2 stritten unter dem Titel „Wie hältst du‘s mit der Religionsfreiheit?“ der EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber mit Bekir Alboga, dem DITIB-Beauftragten für den interreligiösen Dialog und Ayyub Axel Köhler, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime. Der Streit war so heftig, dass die Grünen-Chefin Claudia Roth, der Jurist Heinrich de Wall sowie Ali Ertan Toprak, Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde, nur Nebendarsteller blieben.

Alboga warf Huber gleich in seinem Eingangsstatement vor, der Bischoff habe trotz mehrfacher Aufforderung nichts zum Abbau der Spannungen zwischen den Religionen beigetragen. Das vollbesetzte Auditorium beantwortete die Kritik Albogas mit kirchentagsunüblichen wütenden Pfiffen. Huber konterte angriffslustig mit dem Vorwurf mangelnder Fähigkeit zur Selbstkritik an Alboga als auch und vor allem Köhler. Es müsse endlich auch bei den muslimischen Verbänden ein „selbstkritisches Weiterdenken“ deutlich erkennbar werden, forderte Huber in schneidendem Ton – und unter Beifall.

Doch Selbstkritik ist besonders Köhlers Sache nicht. Er hielt stattdessen der Evangelischen Kirche vor, ihre Handreichung „Klarheit und gute Nachbarschaft“ zum Verhältnis zwischen Christen und Muslimen, spreche eine „Sprache der Abgrenzung und eigenen Profilierung“. Der Text verstärke die Islamophobie. Ein Vorwurf, den Huber empört zurück wies. Das im Herbst vergangenen Jahres herausgegebene Papier, in dem im Gegensatz zu früheren Schriften vor allem die Unterschiede von Islam und Christentum betont werden, gilt als Grund für den Temperatursturz im Klima zwischen Protestanten und Muslimen.

Köhler sagte weiter, der Umgang mit den Muslimen in Deutschland sei ein „Prüfstein für die Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Freiheit der Glaubensausübung in unserer Republik“. Er appellierte, einen „Religionsfrieden mit den Muslimen zu schließen“. Die Kritik Topraks, die muslimischen Verbände würden die Aleviten nicht als Religionsgemeinschaft anerkennen, ignorierte Köhler indes tapfer. Topraks bitterer Kommentar: „Respekt verdient nur, wer ihn gegenüber anderen erweist.“

Während Köhler die Diskussion um Religionsfreiheit auf die Frage der Akzeptanz des muslimischen Glaubens in der Bundesrepublik zu reduzieren versuchte, stellte Huber klar, Religionsfreiheit müsse „für alle und an allen Orten gelten“. Das heiße, „für Muslime in Deutschland wie für Christen in der Türkei“. Muslime müssten das Recht des Religionswechsels akzeptieren. sogar in der Bundesrepublik gebe es noch ehemalige Muslime, die sich aus Angst vor Repressalien ihren Übertritt zum Christentum verschweigen.

Der Kirchentag sei „der herausragende Ort für eine öffentliche Streitkultur“, sagte Huber zum Abschluss mit einem süffisanten Lächeln. Zumindest darin waren sich alle Diskutanten einig. PASCAL BEUCKER

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