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Archiv-Artikel

w. schwab über den klimawandel im kleinen Der Trick mit den Schmeißfliegen

Schmeißfliegen. Calliphoridae. Schwarze, teuflische Kreatur, die sich an Exkrementen labt. Vor allem an denen auf dem Grünstreifen direkt vor unserer Wohnung, denn HundebesitzerInnen aus der Nachbarschaft haben das wuchernde Gras und die Stämme der Linden zur Toilette ihrer Köter erkoren.

Schmeißfliegen. Calliphoridae. Teuflische Kreatur. Weltweit soll es 1.000 Arten geben. Knapp 50 davon sind in Deutschland beheimatet. Dank heißerer Sommer und milderer Winter werden es mehr. Gut, sagen Kenner der Materie bedauernd, früher ging es den Schmeißfliegen wegen der vielen Misthaufen im Land noch besser. Die Gesamtpopulation sei zurückgegangen. Pferdemist, Kuhmist schmecke den Calliphoridae besser als Hundekot. Aber in der Not frisst der Teufel Fliegen. Die, die von der abnehmenden Population sprechen, ignorieren, dass viele Spezies längst in die Städte geflüchtet sind und nun urban leben.

Vor unserem Balkonfenster, das direkt ins Schlafzimmer führt, ist jedenfalls ein Schmeißfliegen-Biotop entstanden. Hundebesitzer sind seine Lobbyisten. Sie tragen Futter hin. Setzen sich für den Erhalt ein. Sitzblockaden sind noch nicht einmal eine Ordnungswidrigkeit.

Schmeißfliegen. Calliphoridae. Ich hasse sie. Vor allem wenn sie sich ins Schlafzimmer verirren. So lange es dunkel ist, verhalten sie sich zivil. So um vier Uhr morgens aber, bei heller werdendem Licht, werden sie munter. Dann fliegen sie gegen die Fenster, sirren durch die Luft, drehen ihre tiefen Runden über dem Bett und ziehen eine Geräuschspur nach sich, die in keinen Traum passt. Sie wollen dahin, wo es am hellsten ist, und finden den Weg nicht. So schaffen sie es, dass ich wach werde. Dieses Frühjahr passierte das täglich.

Natürlich kann man sie mit Gift töten. Es gibt transparente Streifen in Schmetterlingsform, die man ans Fenster klebt. Die Schmeißfliege nascht davon, taumelt Sekunden später bereits, fällt auf den Rücken und dreht sich im Kreis, immer lauter surrend, immer verzweifelter. Plötzlich ist Schluss.

Dieser Exitus der Kreatur offenbart schnell seine tiefe Grausamkeit. Das himmelschreiende Propellersummen frühmorgens, wenn die Schmeißfliege sich drehend mit dem Tod ringt, weckt alle schlechten Gedanken: Schadenfreude. Mordlust. Faszination des Verderbens. Wer aber will seinen Tag so beginnen? Ich nicht. Meine Freundin auch nicht, obwohl ihr Schlaf tiefer ist.

Deshalb haben wir angefangen, die Verzweiflung der Calliphoridae ernst zu nehmen und ihre Gewohnheiten studiert: Sie kommen über den Balkon ins Zimmer. Sie finden den Weg raus nicht mehr. Erst recht nicht, wenn es dunkelt. Kaum aber wird es hell, beginnt ihre Suche nach dem Ausweg von Neuem. „Na gut, dann helfen wir ihnen!“

Seitdem knipsen wir alle Lichter an, bevor wir uns zur Nachtruhe begeben. Wir simulieren Tag und wecken das Vieh. Sobald es seine Kreise um die Lampen zieht, die natürlich keine Fenster sind, beginnt unser Coup: Wir machen die Lichter im Wohnzimmer daneben an und löschen die im Schlafzimmer. Schmeißfliegen sind blöd. Sie folgen der Umleitung. Sind sie dort, machen wir die Lichter im Flur an und die im Wohnzimmer aus. Calliphoridae kommt nach. Vom Flur geht es auf ins Bad, das zum Hinterhof liegt. Ist das Insekt drin, machen wir die Tür zu.

Im Bad gibt es ein kleines Fenster. Die Schmeißfliege kann es nicht verfehlen. Es geht nach Osten zur Morgensonne. Wir lassen es offen. Ich hoffe inständig, dass die Fledermäuse im Hinterhof, auch wenn es hell wird, noch ihre Runden drehen. Selbst eingewanderte Vampire aus wärmeren Gegenden kämen mir gelegen. Das sag ich jetzt jedenfalls mal so. WALTRAUD SCHWAB

Das Wochenendwetter: Sommerlich warm, mancherorts gewittrig