: „Nur geringe Mehrkosten“
Thomas Pogge hält ein gerechteres globales Patentsystem für möglich – und für bezahlbar
THOMAS POGGE, 53, ist Gerechtigkeitstheoretiker. Er lehrt als Politik-Professor an der Columbia University in New York
taz: Herr Pogge, wie kommen Sie als Gerechtigkeitstheoretiker darauf, ein neues Modell für Pharmapatente zu entwickeln?
Thomas Pogge: Jeden Tag sterben heute etwa 36.000 Menschen an behandelbaren, meist armutsbedingten Krankheiten. Sie erkranken infolge ihrer ungerechten Verarmung, sie sterben, weil patentierte Medikamente für sie zu teuer sind. Pharmapatente sind ein besonders grotesker Fall globaler Ungerechtigkeit, weil man mit sehr geringen Mehrkosten die Armen am medizinischen Fortschritt beteiligen könnte.
Wie soll das denn gehen?
Medikamente sind ein ganz besonderes Gut, in dem sehr viel geistige Forschungsarbeit steckt. Die geistige Arbeit ist die gleiche, egal ob ein paar hundert oder viele Millionen Menschen davon profitieren. Entsprechend sind die Mehrkosten praktisch Null: Wir sollten ein System einrichten, in dem die Armen nur noch für die Herstellungskosten aufkommen müssen, die ein winziger Bruchteil der heutigen Preise patentierte Medikamente sind.
Einige Länder haben deshalb ja bereits Zwangslizenzen eingeführt. Dagegen klagen aber Pharmakonzerne wie Novartis und Abbott, die dadurch Geld verlieren. Kann man ihnen das vorwerfen?
Einerseits liegt die Schuld eher bei den europäischen Regierungen und den USA, die die globalen TRIPS-Regelungen der Welthandelsorganisation zum Schutz des geistigen Eigentums festgeschrieben haben. Andererseits haben die pharmazeutischen Firmen seit den 90er-Jahren unglaubliche Lobbyarbeit geleistet, indem sie sich massiv für TRIPS eingesetzt haben. Dabei haben die reichen Länder etwa der indischen Regierung gedroht: Wenn ihr weiter zu uns exportieren wollt, müsst ihr euer Patentrecht so ändern, dass es Produktion und Verkauf von Generika verbietet. Als Indien dem gefolgt ist, hat es die medizinischen Interessen der Armen in Indien und in vielen anderen Ländern ausverkauft. Der daraus entstandene Schaden ist unermesslich. Wir töten Millionen Menschen, weil TRIPS so formuliert wurde und nicht anders. Hier trifft die Pharmafirmen eine riesige Mitschuld, weil sie sich so nachdrücklich dafür eingesetzt haben, auch den Entwicklungsländern die Gewährung von Monopolpatenten aufzuzwingen. Nun stehen sie in der Pflicht, daran mitzuarbeiten, die Regeln zu verändern, dass sich Gesundheitsprobleme der Entwicklungsländer verringern.
Wie viel Moral darf man von profitorientierten Unternehmen verlangen?
Unternehmen sind profitorientiert, und das ist gut so. Wenn sie moralisch akzeptabel handeln sollen, müssen wir die Moral in die Regeln einbauen. Die große Verantwortung der Unternehmen liegt darin, diesen Zweck zu befördern oder wenigstens nicht zu blockieren.
Was könnte so ein neues Patentrecht politisch bewirken?
Viele Leute in den Entwicklungsländern werfen uns zu Recht vor, dass wir bei der Verfolgung unserer ökonomischen Interessen die elementaren Überlebensinteressen von Millionen Menschen ignorieren. Mit einem neuen System für Pharmapatente könnten wir der Welt demonstrieren, dass uns die riesigen Kosten, die unsere Weltwirtschaftsordnung den Armen auferlegt, nicht egal sind. Das würde auch dazu führen, dass gegen uns gerichtete terroristische Bewegungen sehr viel weniger Zulauf hätten.
Ist das geltende Patentrecht am Ende?
Ungerechtigkeiten halten sich oft sehr lang. Die Tatsache, dass ein System irrational und tief unmoralisch ist, heißt nicht, dass es verschwindet. Sklaverei hat sich auch sehr lange gehalten. Nach einigen Statistiken gibt es heute mehr Sklaven als zu irgendeinem Zeitpunkt in der Geschichte. Ich glaube, dass sich das System der Monopolpatente halten wird. Für relativ belanglose Produkte wir Haarwuchsmittel ist das auch kein Problem. Aber das gilt eben nicht für lebensnotwendige Medikamente.
INTERVIEW: TARIK AHMIA