: „Ein systematisches Programm“
ai-Experte Muggenthaler sagt: „Höchste Zeit, dass die USA zu rechtsstaatlichen Verfahren zurückkehren“
FERDINAND MUGGENTHALER ist US-Experte bei der deutschen Sektion von amnesty international.
taz: Herr Muggenthaler, in dem Bericht „Off the record“ werden 39 Menschen aufgelistet, die entweder sicher oder wahrscheinlich von US-Geheimdiensten verhaftet wurden und verschwunden sind. Ist das die Spitze eines Eisberges?
Ferdinand Muggenthaler: Das CIA-Programm, um das es hier vermutlich geht, ist insofern spitze, als da Leute über lange Zeit in einem systematischen Programm verschwunden sind. Von den Menschen, die wir im Bericht aufgelistet haben, weiß man nach wie vor nicht, wo sie sind. Ein anderer Teil wurde letztes Jahr nach Guantánamo gebracht, und die USA haben erstmals öffentlich zugegeben, dass so ein Programm existiert.
Präsident Bush sagte damals, die Geheimgefängnisse seien nun leer. Stimmt das also gar nicht?
Das bedeutet der Bericht. Dabei wäre es dringend an der Zeit, all diese Methoden endlich ad acta zu legen und zu rechtsstaatlichen Verfahren zurückzukehren.
Wie sind die sechs Menschenrechtsorganisationen auf die Namen gekommen?
Es gab verschiedene Quellen. Zu Beginn des war on terror wurde öfter öffentlich gemeldet, dass hochrangige Al-Qaida-Mitglieder gefangen genommen worden seien – sie tauchten dann aber nie irgendwo auf oder bekamen gar einen ordentlichen Prozess. Dann gibt es Informationen über Leute, die nicht von den USA selbst, sondern etwa von Pakistan, Sudan oder anderen Ländern festgenommen und laut Presseberichten an die Vereinigten Staaten übergeben wurden. Und dann gibt es ehemalige Insassen von Geheimgefängnissen, die Angaben über frühere Mitgefangene machen. Aus diesen Informationen kann man dann ein Puzzle zusammensetzen …
Das sind Recherchewege, die an Berichte aus den Foltergefängnissen Lateinamerikas der 70er Jahre erinnern.
Ja.
Sie befürchten aber nicht, dass die Menschen auf der Liste in Wirklichkeit gar nicht mehr leben?
Ich glaube eher, dass einige von den USA inzwischen wieder an andere Staaten übergeben wurden, wie etwa Ägypten, und dort noch im Gefängnis sitzen. Was nicht ausschließt, dass einzelne unter der Folter gestorben sind, wie es etwa in Kandahar passiert ist.
INTERVIEW: BERND PICKERT