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Archiv-Artikel

Blaue Augen, schneeweißes Gefieder

Panter-Kandidat (1): Der 52-jährige Hartmut Krammer betreibt einen Arche-Hof für bedrohte Tierarten

Wer das Landleben mag, der könnte hier denken, er befände sich im Paradies: Felder und Wiesen, soweit das Auge reicht, alles verteilt auf sanften Hügeln. Dazu strahlt wie auf Bestellung die Sonne, Vögel zwitschern. Postkartenidylle im Kraichgau:ohne Lärm und Luftverschmutzung. Heilbronn ist nicht weit, und das nächste größere Dorf heißt Eppingen. Doch hier, allein auf weiter Flur, ist von Zivilisation nichts zu sehen.

In einiger Entfernung tritt plötzlich ein Mann ins Bild, er trägt einen Imkerschutz und mäht das Gras mit einer Sense. Auf dem Weg zu ihm kitzeln noch kniehohe Halme an den Beinen. Hartmut Krammer zieht sich den Schutz vom Kopf. Er ist groß und kräftig und verspricht ein Plätzchen im Schatten. Auf dem kurzen Weg zu einem Picknickplatz mit Tisch und Stühlen trifft man die ersten Bewohner von Krammers 1,5 Hektar großem Gelände: zwölf Schafe. Aber Krammers Schafe sind anders als andere Schafe: Die Lämmer sind rotbraun, und die erwachsenen Tiere haben ein rotes Gesicht und rote Füße mit weißem Fell. Niedlich und sehr schick sieht das aus. Edel auch das Verhalten der Tiere: Sie schauen die Eindringlinge großmütig und schweigsam an, nur ein Lämmchen meckert empört. „Denen ist es heute zu heiß“, sagt Hartmut Krammer und deutet auf den Anführer der Herde, der es sich unter einem ausrangierten Anhänger im Schatten gemütlich gemacht hat. „Das sind Coburger Fuchsschafe, die gab es bereits im Mittelalter“ erklärt er weiter und warnt: „Vorsicht, gehen Sie nicht zu nah ran an die Bienen.“ Auch die Bewohner in Krammers Bienenstöcken sind keine herkömmlichen Feld-, Wald-, Wiesenbienen, sondern „Dunkle Bienen“, eine – wie auch die Fuchsschafe – vom Aussterben bedrohte Tierart.

Im Schatten angekommen, bei Wasser und Apfelschorle, erklärt Hartmut Krammer, was es mit seinem Hobby auf sich hat. Denn eigentlich ist der 52-Jährige Masseur mit einer eigenen Praxis in Eppingen, Tier und Land pflegt er in seiner Freizeit. Krammer hat einen von der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH) zertifizierten Arche-Hof. Rund 90 Arche-Höfe gibt es bundesweit, die sich – wie Krammer – der Rettung und Erhaltung von bedrohten Tier- sowie Pflanzenarten verschrieben haben. 90 Tierrassen stehen auf der Roten Liste der GEH. Zum Beispiel Hinterwälder Rinder. Zwei Kühe – Linda und Ronja – stehen in Sichtweite auf einer großzügigen Weide. Sie scheinen ein bisschen kleiner zu sein als andere Kühe. „Die Hinterwälder Kuh gibt nur 4.000 Liter Milch im Jahr“, erläutert Krammer, „Turbo-Kühe hingegen etwa 14.000 Liter.“ Dafür stehe die überzüchtete Turbo-Kuh aber auch nur drei Jahre im Stall, während Hinterwälder Rinder in der Regel älter als acht Jahre alt würden. Ein Vorteil, der im Grunde für alle älteren Tierrassen gilt. „Sie produzieren zwar weniger Milch, Fleisch oder Wolle als Hochleistungsrassen, doch sie sind robuster“, sagt Krammer. „Mit dem Tierarzt habe ich jedenfalls nichts zu tun.“

Hartmut Krammer hat sich schon als Kind für die Landwirtschaft interessiert, denn seine Großeltern hatten einen Bauernhof. Er ist seit 14 Jahren Mitglied in der GEH und kann seine Familie und Bekannte mit den Erträgen versorgen. Doch das reicht ihm nicht. Krammer hat große Pläne: „Ich will alles in Frage stellen, was landwirtschaftlich geboten wird“, sagt er und redet sich in Rage. Ob es denn nötig sei, dass die kleinen Höfe eingehen und nur noch große landwirtschaftliche Betriebe mit Massentierhaltung funktionieren? Die mit Kraftfutter und Dünger um sich werfen? „In Hochleistungskühe muss man das Futter nur so reinschmeißen“, empört er sich. „Das darin enthaltene Soja wird in Dritte-Welt-Ländern produziert, und wir leisten dann wieder großzügig Entwicklungshilfe, das ist doch pervers!“

Nachdem er seinem Ärger Luft gemacht hat, steht Hartmut Krammer auf und schlägt vor, den Rest des Hofs zu besichtigen. Auf einem kleinen Hügel steht die Scheune, ein Stückchen weiter sind die Gänse zu Hause. Sie schnattern laut und schrill, dafür ist ihr Anblick umso lieblicher: schneeweiße Federn und blaue Augen. Sehr apart. „Diepholzer Weidegänse, aufmerksamer als ein Wachhund“, sagt Krammer. „Auch eine bedrohte Tierart.“ Dann gibt er eine kleine Einführung in die Beschaffenheit der Obstbäume, die den Feldweg säumen – auch Sorten, die nicht mehr so häufig vorkommen. Wenn Hartmut Krammer seine Bäume beschreibt, klingt es, als würde er aus einem Lexikon für lustige Namen vorlesen: „Goldparmäne, Brettacher, Rosenapfel, Speierling, Schweizer Wasserbirne.“ Auch seltene Vögel wie der Neuntöter und die Schafstelze hätten sich hier wieder angesiedelt.

Hartmut Krammer will die Besonderheit seines Grundstückes niemandem vorenthalten. Daher plant er auf seinem Hof ein Bildungszentrum: „Agrarökologie, Gesundheitspädagogik, Naturphilosophie“. Seine Mission ist es, die Menschen aufzuklären. „Viele Kinder denken doch, Kühe seien lila“, schimpft er und erklärt, was das geplante Bildungszentrum leisten soll. In Seminaren, Fachtagungen und Workshops möchte er alles rund um ökologischen, naturverträglichen Landbau und Tierhaltung thematisieren und sein Wissen sowie das von Experten weitergeben.

Vom anderen Ende der Wiese erklingen plötzlich helle Stimmen. Kinder einer Grundschulklasse rennen den Hügel hinauf; sie dürfen heute auf Krammers Arche-Hof zuschauen, wie Schafe geschoren werden. Ein regelmäßiges Angebot für Schulen und Gruppen. Im Kleinen – und für Kleine – setzt Hartmut Krammer also schon um, was ihm für die Zukunft vorschwebt: Aufklärung. JUTTA HEESS