piwik no script img

Archiv-Artikel

Der Nabel der WeltDUBLIN

Die Welt hat eine Woche auf Heiligendamm geblickt. Hat sie? Ist Merkel jetzt berühmt? taz-Auslandskorrespondenten schauen auf den Gipfel

Abschiedsstimmung bei den britischen Medien: Es sei Tony Blairs letzter großer Auftritt, bei dem darüber hinaus sein besonderes Verhältnis zu US-Präsident George W. Bush auf eine harte Probe gestellt werde. Blair hatte seinen langen Abschied damit begründet, dass nur er die USA zu Zugeständnissen beim Kampf gegen den Klimawandel bewegen könne. Ist ihm das gelungen? Die Times sieht große Fortschritte, der Guardian große Versäumnisse und der Independent weiß es nicht. Einige Kommentatoren wiesen auf das ausgeprägte Umweltbewusstsein in Deutschland hin. „Angela Merkel badet im trüben Licht einer Energiesparbirne, und wenn ihr etwas herunterfällt, findet sie es im Dämmerlicht nicht mehr“, höhnte einer. Die breite Berichterstattung über den Gipfel in den Medien spiegelt sich nicht im Interesse der Bevölkerung wieder. Nur die Krawalle wurden interessiert zur Kenntnis genommen. RALF SOTSCHECK

PARIS

Ohne Nicolas Sarkozy wäre der G-8-Gipfel den französischen Medien kaum mehr als Kurzmeldungen wert gewesen. Die entsandten Journalisten, die mehrheitlich der vom Élysée-Palast organisierten Vereinigung „Presse présidentielle“ angehören, berichteten euphorisch über jeden Schritt des im Mai gewählten Präsidenten. Der hatte in Heiligendamm seinen ersten großen internationalen Auftritt. Und war – so kommentierten die Medien mehrheitlich – brillant. Sarkozy sprach mit allen. Erklärte Putin die Pressefreiheit. Erklärte Bush die Risiken der globalen Erwärmung. Und erklärte den euroskeptischen Männern aus London die Modernität der EU. Dass am Ende doch nicht so viel herauskam, lag, so die journalistische Analyse, nicht an Sarkozy, sondern daran, dass G-8-Gipfel ohnehin nicht viel bringen. DOROTHEA HAHN

PEKING

Vorabend-Nachrichten bei CCTV 4, dem chinesischen Zentralfernsehen, am Freitag: An erster Stelle steht der Besuch des chinesischen Staats- und Parteichefs Hu Jintao in Deutschland – noch vor den Bildern der amerikanischen Society-Blondine Paris Hilton im modisch gestreiften Hosenanzug und von einer typisch amerikanischen Gefängniszelle. Ausführlich berichten alle Staatssender über Hus Auftritt beim G-8-Gipfel, über seine Begegnung mit der deutschen Gastgeberin Merkel und seine Treffen mit den Führern der wichtigsten Drittweltländer von Indien bis Südafrika. Die Botschaft: China ist unter den Mächtigen der Welt aus gutem Grund umworben, versteht sich aber weiterhin als Sprecher der ärmeren Staaten. Deutschland wirkt durchs Objektiv des chinesischen Fernsehens freundlich und sonnig: Hier ist das Brandenburger Tor, dort liegen wichtige Begegnungs-Hotels, und da schlagen Wellen an den weißen Ostseestrand. Von den Krawallen ist nichts zu sehen. JUTTA LIETSCH

TOKIO

„Abe trifft Putin“ und „Abe trifft Bush“ – das sind die Schlagzeilen, wie sie sich ein japanischer Premier wünscht, der kurz vor wichtigen Zwischenwahlen steht und unter schlechten Umfragewerten leidet. Die Zeitungen sind voll mit Bildern von Regierungschef Shinzo Abe, wie er die Hände bedeutender Staatsmänner und einer wichtigen Staatsfrau schüttelt. In den Kommentaren wird vor allem das Bekenntnis zum Klimaschutz beschworen und dabei der Einfluss Japans hervorgehoben. Die regierungsfreundliche Yomiuri Shimbun lässt einen Kabinettssprecher jubeln, dass bisher erzielte Kompromisse „hauptsächlich ein Erfolg für Japan“ seien. Das Konkurrenzblatt Asahi Shimbun zeigt Verständnis, dass Kanzlerin Angela Merkel in Heiligendamm gern einen Erfolg für sich verbuchen will, und erwähnt gleich den Tagungsort, an dem künftig die Weichen für den Klimaschutz gestellt werden: Toyako, ein kleiner Ort auf Hokkaido – bekannt für seine Kurquellen und schwer erreichbar. ANDREA WALDBRUNNER

TEL AVIV

In Tel Aviv geht es um die Präsidentschaftswahlen in der kommenden Woche und um die antizionistischen Äußerungen von Abraham Burg, dem Ex-Parlamentspräsidenten. Burg rief diese Woche überraschend dazu auf, Israel nicht länger als Judenstaat zu definieren. In der Presse nahm G 8 hingegen breiten Raum ein. Die Tageszeitung Yediot Achronot interessierte sich für Putins Vorschlag, zusammen mit den USA „Radaranlagen gegen die iranische Bedrohung“ zu stationieren. Außerdem ging es um die Ausschreitungen und die Kanzlerin. „Die Deutschen, unter Führung von Merkel“, schreibt die liberale Ha’aretz, strebten danach, die Ecksteine der künftigen G-8-Politik zu legen. SUSANNE KNAUL

PORTO ALEGRE

Der fußballbegeisterte Teil der Bevölkerung im vorwinterlichen Porto Alegre feierte ungewohnt einträchtig: Vorgestern schaffte Grêmio gegen den FC Santos von Zé Roberto den Einzug ins „Libertadores“-Finale, gestern holte Inter mit 4:0 gegen den Mexiko-Meister Pachuca den Lateinamerika-Pokal „Recopa“. Benzinpreise, Rekordernte der Sojabauern, sogar die Korruptionsaffären aus Brasília – alles wichtiger als Merkel, Bush & Co. Immerhin demonstrierte vor der McDonald’s-Filiale in der Fußgängerzone ein Häuflein Studierender – und das deutsche Generalkonsulat erlebte eine Premiere: „G 8: Mörder“ und „Raus mit den G 8“ stand plötzlich an die Außenwände gesprüht, ein Konsulatswagen bekam einen schwarzen Farbbeutel ab. Konsul Hans-Dietrich Bernhard machte „Spinner“ für die „törichte, ganz isolierte Aktion“ verantwortlich, die von der Regionalzeitung Zero Hora als „Spritzer der Volksempörung bei Heiligendamm“ registriert wurde. GERHARD DILGER

NAIROBI

Niemand weiß so gut wie Gado, was Kenias Volk bewegt. Der Karikaturist, der täglich in der Nation die Zeichnung zur Nation abgibt, trifft immer den Nerv der „Wananchi“, der Otto-Normal-Kenianer. Thema am Freitag: Kenias Siegesserie im Rugby. War da noch was anderes? Ach so, G 8: Da hatte Gado am Mittwoch schon die Staatschefs als prügelnde Masse abgebildet. Ohnehin fragen sich immer mehr Kenianer, was die gebrochenen Versprechen zur Milliardenhilfe sie eigentlich angeht. Letztes Jahr ist die Wirtschaft um 6 Prozent gewachsen, Nairobis Börse boomt, junge Banker sonnen sich vor einer der vielen Cocktailbars. „Das große Geschäft machen wir doch eh mit den Chinesen“, winkt einer der Broker ab. Hat er denn wirklich gar nichts von den G-8-Ergebnissen mitbekommen? „Nö. Aber haben Sie schon von Kenias Siegesserie im Rugby gehört?“ MARC ENGELHARDT

DELHI

Indien gehörte zum weiteren Kreis der G-8-Geladenen – selbstverständlich also, dass sich die lokalen Medien in den globalen Bilderstrom einklickten. Umso mehr, als die spektakulären Helikopteraufnahmen bei der Jagd auf das Greenpeace-Boot die Zuschauer bannten. Auch der schwarze Block schaffte es auf die Frontseiten. Indien hatte selber eine Woche von Straßenschlachten bei Kastenkonflikten in Rajasthan hinter sich. Mit noch dramatischeren Bildern – und 30 Toten. Die Einladung zum Gipfel nahmen die Inder indes als reine Höflichkeitsgeste. Den Beweis lieferte ihnen, dass Premier Manmohan Singh im Internet die Abschlusserklärung der G 13 lesen konnte, noch bevor er zur Konferenz fuhr. BERNARD IMHASLY

BANGKOK

„Weg mit der Junta!“, fordern die Protestler auf dem Platz „Sanam Luang“ in Thailands Hauptstadt Bangkok. Seit einer Woche flattern ununterbrochen Banner und Transparente. Das Interesse am weltweiten Geschehen ist hier derzeit gleich null. Thailands innenpolitische Krise ist das Hauptthema. Durch den Militärputsch vom vergangenen September wurde Premier Thaksin Shinawatra gestürzt. Doch besser wurde dadurch kaum etwas. Vergangene Woche ließ das Verfassungsgericht zudem die einst von Thaksin gegründete Partei „Thais lieben Thais“ (TRT) wegen Wahlbetrug auflösen. Seitdem kochen die Wogen erst recht hoch, die Demos mehren sich. Denn die TRT-Rivalin, die „Demokratische Partei“, war vom Wahlbetrug freigesprochen worden. Sofort munkelte man, die Junta habe interveniert, um Thaksins Partei endlich auszubooten. Und dessen Anhänger schlachten die Proteststimmung natürlich aus. NICOLA GLASS