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Archiv-Artikel

Ihr lest das hier doch eh nicht

FLÜCHTLINGE Die neueste Entwicklung in Kreuzberg mobilisiert nicht mehr so viele Unterstützer wie noch im Sommer

BERLIN taz | Im Sommer stieß die drohende Räumung der Gerhart-Hauptmann-Schule noch auf bundesweites Interesse: In den sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook wurde das Thema zehntausendfach aufgegriffen, es gab in Kreuzberg tägliche Demonstrationen mit Tausenden Teilnehmern. Die Artikel auf taz.de, die sich mit der besetzten Schule beschäftigten, wurden sehr häufig gelesen, kommentiert und weiterempfohlen.

Jetzt eskaliert der Konflikt um die Schule erneut: Am Freitag lief das erste Ultimatum des Bezirks aus. Am Montag das zweite. Die Unterstützer mobilisierten erneut zur Demonstration – und am Montagabend kamen gerade einmal 200 Menschen. Zu der taz-Berichterstattung über die besetzte Schule erreichen uns kaum noch Leserbriefe, auch im Internet werden unsere Artikel kaum noch geteilt, getwittert, verlinkt. Natürlich kann niemand sagen, ob das auch noch so bleibt, wenn es in Zukunft eine weitere Eskalation des Konflikts gibt – aber bisher stößt das Thema auf deutlich weniger Interesse als noch vor ein paar Monaten.

Den Flüchtlingen in dem besetzten Schulgebäude geht es damit ähnlich wie den Ebola-Erkrankten, den Kurden in Kobani oder dem Klimawandel: Auch Artikel über diese Themen stoßen kaum noch auf Interesse. Offenbar scheint es eine natürliche Grenze bei der menschlichen Aufmerksamkeit zu geben.

Ob manche Politiker sich diesen Umstand gezielt zunutze machen? Indem sie unpopuläre Entscheidungen nicht dann treffen, wenn die Aufregung gerade am größten ist, sondern damit lieber etwas warten?

Das kann man dem grün regierten Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hier nicht vorwerfen. Den Weg des geringsten Widerstands hat eindeutig München gewählt. Als dort im Sommer 2013 eine Gruppe von Flüchtlingen auf dem Rindermarkt in den Hungerstreik trat, wurden sie von der Polizei geräumt und sogar zwangsernährt. Die Aufregung war einmal groß, aber seitdem war Ruhe. Friedrichshain-Kreuzberg hat die Besetzung eines Platzes und eines Schulgebäudes toleriert und zwei Jahre lang nach einer Lösung gesucht. Das war eindeutig der schwierigere Weg. SEBASTIAN HEISER