DIE KURDENFÜHRER IM IRAK SPIELEN EIN GEFÄHRLICHES SPIEL MIT DER TÜRKEI : Faustpfand PKK
Es fehlt nicht mehr viel, und aus dem „low-intensity war“ in den kurdisch bewohnten Provinzen im Südosten der Türkei könnte ein regelrechter Krieg zwischen der Türkei und den Kurden im Nordirak erwachsen. Das türkische Militär, zutiefst frustriert von den zermürbenden Attacken der PKK und überdies intern im Clinch mit der eigenen Regierung, sähe einen Einmarsch im Nordirak als Befreiungsschlag an.
Das türkische Militär drängt geradezu darauf, jetzt endlich mit dem großen Knüppel zurückzuschlagen – egal, ob eine Guerilla-Armee wie die PKK dadurch wirklich wirksam getroffen werden kann oder nicht. Man träumt davon, auch den Kurden im Nordirak damit zu zeigen, wer in der Region der Stärkere ist.
Dass durch ein solches Vorgehen jede Lösung in dem jahrzehntealten Konflikt mit der kurdischen Minderheit im eigenen Lande erneut sabotiert und die kleinen Erfolge der letzten Jahre mit einem Schlag wieder zunichtegemacht würden – das ist für die türkische Militärführung schon immer nebensächlich gewesen. Nach wie vor herrscht im Generalstab der Glaube vor, mit Gewalt letztlich alles regeln zu können.
Was aber treibt die irakischen Kurden, an dieser Spirale der Gewalt mitzudrehen? Massoud Barsani ist derzeit der unbestrittene Boss im Nordirak. Er könnte die PKK daran hindern, von seinem Territorium aus Anschläge in der Türkei zu verüben und sich anschließend wieder in den Nordirak zurückzuziehen. Doch er lässt die PKK gewähren, obwohl er sich damit dem Risiko einer türkischen Intervention aussetzt. Warum?
Darauf gibt es eigentlich nur zwei Antworten. Entweder ist Barsani so vermessen zu glauben, mit der Unterstützung der USA im Rücken und der PKK als Speerspitze seinen Einfluss auf die kurdischen Gebiete in der Türkei ausdehnen zu können, um so den uralten Traum eines länderübergreifenden Kurdenstaates zu verwirklichen. Das jedenfalls ist ein verbreitetes Interpretationsmuster.
Oder aber, was viel wahrscheinlicher ist: Barsani benutzt die PKK als Faustpfand, um sie künftig als Verhandlungsmasse einsetzen zu können. Ende des Jahres soll es im Irak darum gehen, ob die Ölgebiete um Kirkuk dem kurdischen Autonomiegebiet angegliedert werden oder nicht. Barsani könnte der Türkei die Eindämmung der PKK anbieten, gegen eine türkische Zustimmung in der Kirkuk-Frage. Doch das ist ein hochriskantes Spiel. Es fordert jetzt schon permanent Opfer – und könnte geradewegs in die Katastrophe führen.
JÜRGEN GOTTSCHLICH