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Archiv-Artikel

Ihre Bescheidenheit ist legendär

Pina Bausch ist auch eine berühmte Kettenraucherin. Überraschend? Nein, nur, wer sich gut mit den Schwächen des Menschen auskennt, kann so überzeugend davon erzählen FOTO: AP

Sie ist, vermutlich, die letzte Heilige des Rheinlands. Keine andere Künstlerin wird so vorbehaltlos geliebt wie Pina Bausch, 66, Tanztheaterchefin seit 1973 in Wuppertal. Gestern sprach ihr ein Preisgericht in Japan den Kyoto-Preis zu, der mit 50 Millionen Yen (etwa 400.000 Euro) dotiert ist, am 20. Juni wird ihr im Rahmen eines Tanzfestes der Biennale Venedig ein Goldener Löwe verliehen. Beide Auszeichnungen gelten ihrem Lebenswerk.

Traurige, die aus großer Höhe stürzen und aufgefangen werden; im Traum Fliegende, von vielen Armen über die Bühne getragen; Badende, Küssende, sich Umarmende. Seit langem sind die Tanzstücke von Pina Bausch gespickt mit solchen Bildern, die Erzählungen von Glück und Unglück, Sehnsucht und Verlassenheit, Liebe und Trost zu kurzen Miniaturen eindampfen. Dass Bewegungen des Körpers von der Bewegtheit der Gefühle erzählen, ist durch ihre Arbeit heute zu einer Selbstverständlichkeit geworden, von der inzwischen viele Choreografen und Theatermacher profitiert haben. Ihre Stücke gehen verschwenderisch mit Geschichten um, sie selbst aber mag, auch nach Jahrzehnten großer öffentlicher Aufmerksamkeit, kaum über ihre Kunst reden. Wer sie dennoch hört, auf einer ihrer seltenen Pressekonferenzen, ist vor allem von ihrer Wuppertaler Diktion berührt, langsam, erdig und deutlich. „Frau Bausch, ist ihr Festhalten am Standort Wuppertal, in ihrer Heimat, ein notwendiger Ausgleich zu ihren Arbeit in Städten wie Istanbul, Seoul, Hongkong?“ ist eine beliebte Frage. Aber nicht einmal das will sie bestätigen, man muss es sich schon selbst zurecht denken. Die Bescheidenheit, mit der sie jedes Angebot zur Erhöhung ihrer Person zurückweist, ist legendär. Sie würde jedem anderen, der nur annähernd so viel Fans in Tokio, Paris oder Brüssel hat, wahrscheinlich als Pose ausgelegt, ihr aber nicht.

Für das internationale Ansehen der Kultur aus Deutschland ist Pina Bausch seit jeher ein Glücksfall. Ihre Verbindung nach Japan, dem Land, das ihr jetzt so viel zurückzahlt, dauert schon über zwanzig Jahre. Seit 1986 Jahren nutzt ihr Ensemble die auf Gastspielreisen geknüpften Kontakte für Koproduktionen, so dass sie zu einem der ersten Global Player im internationalen Festivalbetrieb gehörte. Einladungen nach Rom, Madrid, Lissabon oder Palermo nutzt ihr Ensemble für ein Aufsaugen von Gerüchen, Farben, Geschichten, Geschwindigkeiten. Das hat Pina Bausch stets als ein großes Geschenk beschrieben, neben dem nur „klein“ sei, was sie mit ihren Tänzern von dort mitbrachte – so klein, dass sie es fast zwischen ihren gewölbten Händen halten könne.

KATRIN BETTINA MÜLLER