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Archiv-Artikel

Kiel will die Straßenbahn

Als Stadt-Regionalbahn soll sie auch im Umland fahren. Andere Regionen haben damit gute Erfahrungen gemacht. Am Wochenende rollte ein Demonstrationszug nach Gettorf. Auch andere Städte im Norden wollen ihr Schienennetz vergrößern

VON GERNOT KNÖDLER

In Kiel ist am Wochenende wieder eine Straßenbahn gefahren. Mehr als 20 Jahre nachdem die letzte Bahn durch die Straßen an der Förde rumpelte, hat die Firma Alstom eine moderne Version dieses Verkehrsmittels vorgeführt. Die Firma karrte den Zug auf einem Tieflader herbei und setzte ihn einfach auf ein Bahngleis. Die kostspielige Werbetour hatte einen Grund: Das schwarz-grün regierte Kiel trägt sich ernstlich mit dem Gedanken, die Straßenbahn wieder einzuführen – aber dann in einer Variante als Stadt-Regionalbahn, die in der Stadt, aber auch weit hinaus aufs Land fährt. „Ende des Jahres wollen wir eine Grundsatzentscheidung haben“, sagt Peter Todeskino (Grüne), der Stellvertreter von Oberbürgermeisterin Angelika Volquartz (CDU).

In Kiel könnte damit Wirklichkeit werden, was in verschiedenen Städten im Norden diskutiert wird. Der Clou bei diesem Modell: In der Stadt fahren solche Züge auf Straßenbahngleisen, auf dem Land benutzen sie zum Teil vorhandene Bahngleise, was Kosten spart. Eine Straßen- oder Regional-Stadtbahn könnte den Nahverkehr auf bezahlbare Weise attraktiver machen. Sie würde Pendler von den überlasteten Straßen weglocken, Platz und Energie sparen und außerdem zum Klimaschutz beitragen.

Für die Region Braunschweig hat der Verkehrsclub Deutschland eine Stadt-Regionalbahn vorgeschlagen, ebenso für die Gegend zwischen Bremerhaven und Cuxhaven. Und die Bremer Straßenbahn AG (BSAG) würde gern ihre Züge sternförmig ins Umland ausschwärmen lassen.

Hamburg betreibt eine vergleichbare Ausdehnung seines Schienennahverkehrs mit der Verlängerung der S-Bahn nach Stade. Der Wiedereinführung einer Straßenbahn hat der CDU-Senat aber einen Riegel vorgeschoben: Vergangenen Freitag unterschrieb er einen Vertrag mit der städtischen Hamburger Hochbahn (HHA) über den Bau und die Finanzierung einer U-Bahnlinie in die neue Hafencity. 289 Millionen Euro soll die 4,2 Kilometer lange Strecke mit zwei Stationen kosten. Für gut 200 Millionen Euro mehr hatte der bis 2001 amtierende rot-grüne Senat ein ganzes Stadtbahnnetz mit 42 Kilometern Länge aus dem Boden stampfen wollen.

Ob es für das Hamburger Projekt Geld vom Bund gibt, ist zweifelhaft. Denn mit einem Nutzen-Kosten-Verhältnis von 0,58 liegt die U-Bahn unter dem vom Bund für eine Förderung verlangten Quotienten 1,0. Ganz anders sieht das bei der Kieler Stadt-Regionalbahn aus. Das standardisierte Bewertungsverfahren des Bundes ergab einen Quotienten von 2,12. Der volkswirtschaftliche Nutzen überwöge die Kosten jährlich um 12,7 Millionen Euro, hat die Projektgruppe Stadt-Regionalbahn Kiel errechnet.

Die Kieler unter Führung des grünen Bürgermeisters Todeskino gingen von der Überlegung aus, dass der öffentliche Nahverkehr durch den demographischen Wandel in eine Abwärtsspirale geraten könnte: Weniger Menschen, heißt weniger Fahrgäste, bedeutet schrumpfendes Verkehrsangebot, was einen weiteren Rückgang der Fahrgastzahlen zur Folge hätte. Um zu verhindern, dass Leute vom Bus auf das Auto umsteigen, müsste die Stadt also ohnehin investieren, argumentiert die Projektgruppe. Bei einem einfachen Ausbau des bestehenden Nahverkehrsnetzes würde das jährliche Betriebskostendefizit schätzungsweise um knapp sechs Millionen Euro steigen, mit Einführung einer Regional-Stadtbahn um insgesamt knapp 13 Millionen.

Regelrecht schockierend fanden viele Kommunalpolitiker jedoch die Summe, die nötig ist, um die Stadt-Regionalbahn überhaupt erst aufzubauen: Die Projektgruppe schätzt 356 Millionen Euro. 171 Millionen davon flössen ins Stadtnetz, 48 Millionen ins Regionalnetz, der Rest in Fahrzeuge, Betriebshöfe und Verknüpfungspunkte. „Uns erschrecken die Investitionskosten ganz enorm“, sagt Achim Heinrichs, der Verkehrsexperte der oppositionellen SPD-Fraktion. „Selbst was nach hohen Zuschüssen an Kosten übrig bliebe, wäre für die Stadt nicht zu stemmen.“

Zwar spekuliert Bürgermeister Todeskino darauf, dass der Bund und das Land Schleswig-Holstein mehr als 60 Prozent der Investitionskosten tragen würden. Doch auch er sagt: „Wir könnten das nicht bezahlen.“ Der Bürgermeister hofft deshalb, dass sich ein Investor findet, der die Stadt-Regionalbahn im Rahmen einer Öffentlich-Privaten-Partnerschaft auf eigene Rechnung baut und 30 Jahre lang unterhält. Ein Unternehmen, das die Bahnen fahren lässt, würde dann mit einer gesonderten Ausschreibung gesucht.

Todeskino sieht den Bau des Netzes auch als Wirtschaftsförderung. „Wir betreiben hier kommunale Industriepolitik“, sagt er. Um das Projekt Wirklichkeit werden zu lassen, muss er allerdings auch die Kreise Rendsburg-Eckernförde und Plön sowie die betroffenen Gemeinden überzeugen. Diese arbeiten zwar an den Vorbereitungen mit. Um alle zur Zustimmung zu bewegen, seien aber „noch dicke Bretter zu bohren“, räumt Todeskino ein.