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Archiv-Artikel

berliner szenen Fürs Kind sorgen

Tilsiter Käse

Seit ich Kinder habe, funktioniert mein Kopf nicht mehr einwandfrei. Ich vergesse viel, vielleicht, weil ich zu wenig schlafe. Heute geht meine Tochter mit ihrer Gruppe in den Wald, ich muss ihr allerhand mitgeben, was ich sonst nicht mitgeben muss. Eine Trinkflasche zum Beispiel und ein Sitzkissen. Frühstück sowieso, das bekommt sie immer mit.

Ich lege leckere Sachen zurecht, einen Trinkjoghurt, der eigentlich im Kindergarten verboten ist. Weintrauben, die haben wir auch nicht jeden Tag. Dann schnell alles einpacken und los! Als ich nachmittags heimkomme, gehe ich zum Kühlschrank. Durch die eine Dose schimmert etwas, das wie das Frühstück meiner Tochter aussieht. Ich guck rein. O Gott! Wir haben zwei Dosen, die identisch aussehen. Ich habe sie vertauscht. Nun hat mein Kind einen stinkenden Tilsiter Käse mit und sonst nichts.

Bestimmt ist er im Wald auf einer Lichtung zerflossen, so ungekühlt unter der Berliner Sonne. Wahrscheinlich sind die Kinder umgefallen, als meine Tochter die Dose geöffnet hat, allein von der Dunstglocke, die sich erhob und über die Kinder legte. Ob mein Kind hungern musste? Hilflos nehme ich die Dose und laufe zum Kindergarten. Zu spät, wer will jetzt noch Frühstück?

Die Kinder sind draußen, turnen herum und bewerfen etwas mit Bällen. Ob sie den Käse lynchen? Ich schleiche mich heran. Sie locken mit dem Käse Fliegen an und verscheuchen sie dann wieder. Die Erzieherinnen sehen das nicht. Ich winke meinem Mädchen, es kommt, schaut sich sein Frühstück an. „Brauch ich nicht mehr. Die anderen haben mit mir geteilt“, sagt es. „Ganz leckere Sachen. Nicht so gesundes Zeug.“ So hat ein Fehler auch sein Gutes, denke ich. Aber schade um den Käse ist es doch.

ANNETTE SCHWARZ