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Archiv-Artikel

Neue Strategien mit alten Säulen

SOMMERFERIEN Nach der Revolution möchte Tunesien seinen Tourismus neu erfinden. Das Land im Norden Afrikas leidet, weil wesentlich weniger Besucher kommen. Damit alles anders wird, setzt es nun auch auf Kultur und Kurzsafaris

Die Unruhen im Januar und der Krieg im benachbarten Libyen haben viele abgeschreckt

VON DANIEL BAX

In Sidi Bou Said ist die Revolution schon Kunst geworden. In der Galerie Ammar Farhat baumeln Boxsäcke mit einem riesigen Fotoporträt der Künstlerin Faten Gaddes von der Decke, darauf prangt mal die Zeile „Ich bin Christin“, mal „Ich bin Jüdin“. An der Wand gegenüber fügen sich Stickdecken, Stofffetzen, Postkarten oder Fotocollagen zu Landkarten, welche die Umrisse Tunesiens aufweisen.

„Ich habe Künstler gebeten, sich mit dem Begriff der Staatsbürgerschaft zu beschäftigen –einem Begriff, der vor der Revolution keine Bedeutung hatte“, erläutert die Galeristin Aicha Gorgi, 47, das Konzept ihrer Ausstellung. Die Tochter eines Malers eröffnete bereits während ihres Studiums ihre Galerie in Sidi Bou Said, jenem Künstlerdorf, dessen in Weiß und Blau leuchtenden Gassen sich über einer Steilküste bei Tunis befinden. Hier schlägt das Herz der tunesischen Kunstszene. Und hier sitzt Aicha Georgi in sommerlich-kurzen Kakihosen und weißer Bluse und erläutert die einzelnen Kunstwerke.

Der Stolz auf „die tunesische Ausnahme“, wie sie es nennt, ist ihr deutlich anzumerken. „Wir verfügen über keine natürlichen Ressourcen, deshalb wurde viel in Bildung investiert. Wir besitzen moderne Institutionen und hatten Frauenrechte wie in Europa“, sagt sie. „Das unterscheidet uns von anderen arabischen Ländern.“ Angst, dass Islamisten oder andere konservative Kräfte jetzt die Uhr zurückdrehen könnten, hat sie nicht. „Egal, wer versuchen sollte, unsere Freiheiten einzuschränken, er wird scheitern“, ist sie überzeugt. „Man nimmt die Islamisten im Ausland viel zu wichtig.“

Zu ihrer These passt ein Kunstobjekt, das in einem Nebenraum der Galerie steht: eine durchsichtige Wahlurne, in der farbige Zettel liegen, die für verschiedene Parteien stehen. Auf einem Blatt ist ein vorläufiges Wahlergebnis notiert, nachdem die Grünen ganz vorne und die Islamisten ganz hinten liegen. Es dürfte aber wohl eher die Gunst des Publikums, das die Galerie frequentiert, als die aktuellen Mehrheitsverhältnisse im Land widerspiegeln. Dem Massentourismus, der unter Ben Ali in Tunesien Einzug hielt, kann Aicha Gorgi nur wenig abgewinnen. „Das ist kein sehr gebildetes Publikum“, rümpft sie die Nase über die „Schafsherden“, die von ihren Pauschalhotels aus in Gruppen durch Sidi Bou Said gelotst werden. „In meine Galerie verirrt sich davon kaum jemand“.

Deutsche bleiben weg

Zwei Tage zuvor wurde im holzvertäfelten Konferenzsaal eines Luxushotels in Tunis darüber debattiert, wie sich an diesem Zustand etwas ändern lässt. Tunesiens neuer Tourismusminister Mehdi Houas, 51, seit Ende Januar im Amt, traf dort auf Manager deutscher Tourismuskonzerne, um über nichts weniger als die „Rückeroberung des deutschen Markts“ zu beraten. Die Unruhen im Januar und der Krieg im benachbarten Libyen haben viele Touristen abgeschreckt, das Geschäft ist in diesem Jahr dramatisch eingebrochen: von knapp einer halben Million Besuchern im vergangenen Jahr auf bestenfalls die Hälfte in diesem. Doch die Misere reicht tiefer. Während die Türkei, Ägypten und sogar Marokko in den letzten zehn Jahren stetig an Gästen zulegten, geriet Tunesien immer mehr ins Hintertreffen.

Schonungslos wurden auf der Tagung die Schwachstellen benannt. Jahrelang wurde Tunesien unter Wert verkauft und verramscht. Nun sucht es nach Strategien, andere Zielgruppen anzusprechen und nicht nur mit billigen Pauschalangeboten und „Sonne, Strand und Meer“ zu locken. Der Tourismus ist ein enorm wichtiger Wirtschaftsfaktor – bis zu 400 000 Menschen sind in Hotels, Restaurants, Autovermietungen, Boutiquen oder Souvenirläden beschäftigt.

Tourismusminister Houas setzt dabei vor allem auf Kultur. „Ägypten besitzt nur vier historische Stätten, die von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurden“, erklärt er und fügt stolz hinzu: „Tunesien dagegen sieben“. Doch lediglich die Ruinen von Karthago wurden bisher halbwegs beworben. Houas kennt den europäischen Geschmack: Er ist in Marseille geboren und leitete in Frankreich ein Telekommunikations-Unternehmen, bevor ihn der Ruf in die Übergangsregierung ereilte. Er weiß aber auch: „Die Tunesier müssen selbst erst noch den Wert ihres Landes erkennen.“

Zum Teil kann sich Mehdi Houas bereits auf bestehende Projekte stützen. So wurde in der orientalischen Medina von Tunis schon 2010 ein „Kulturrundgang“ eingeweiht, die Gebäude und Gassen der Altstadt frisch renoviert. Darüber hinaus schwebt ihm vor, Facebook zu nutzen, um etwa Jugendliche zur sommerlichen Chill-out-Party mit DJs an Tunesiens Küste zu locken. Und mit Ökotourismus, mit Kurzsafaris in die nahe Wüste und dem Besuch der Sehenswürdigkeiten im Landesinneren das Hinterland stärker an der Entwicklung zur Vielfalt teilhaben zu lassen.

„Ben Ali wollte nicht, das Touristen das Hinterland zu Gesicht bekamen, denn dort waren Tunesiens Probleme zu offensichtlich“, glaubt er. Außerdem habe das mafiöse Gebaren des Ben-Ali-Clans potenzielle Investoren abgeschreckt. Nun lädt er die großen Tourismuskonzerne ein, sich in Tunesien zu engagieren. „Wir müssen unser Geld in die Straßen, Flughäfen und die touristische Infrastruktur stecken.“

Da bleibt noch eine Menge zu tun. Denn an vielen Orten in Tunesien sieht es aus wie in Thuburbo Majus, keine 60 Kilometer von Tunis entfernt, wo die Ruinen einer römischen Handelsmetropole stehen. Prächtige Säulen ragen dort hoch in den Himmel, die Reste von Bädern und Tempelanlagen sind zu besichtigen. Doch das Areal macht einen vernachlässigten Eindruck: Beim Pförtner verstauben vergilbte Broschüren im Regal, über das weitläufige Ausgrabungsgelände streifen nur ein paar Arbeiter mit Harken. Besonders einladend ist das nicht.

Baustelle Bardo-Museum

Das gilt auch für das Bardo-Museum in Tunis. Der ehemalige Palast des osmanischen Statthalters, des Beys von Tunis, beherbergt die weltweit größte Sammlung antiker Mosaike. Derzeit gleicht es aber einer Baustelle, die Wiedereröffnung ist erst fürs nächste Jahr geplant: Dann sollen Audio-Guides und mehrsprachige Erklärungstafeln sowie eine Cafeteria und der Museumsshop neue Besucher locken.

Bis es so weit ist, leitet der junge Museumsführer Haythem Jbeli die Besuchergruppen unverdrossen weiter durchs Haus. Der 30-Jährige hat Archäologie studiert und besitzt einen fachmännischen Blick für den filigranen Wand- und Bodenschmuck der Phönizier und Römer, Christen und Juden, denen je eigene Abteilungen gewidmet sind. Aber auch Vandalen und Araber, Berber, Türken, Italiener und Franzosen haben in Tunesien ihre Spuren hinterlassen.

Aus dem Fenster des osmanischen Bardo-Palastes kann man auf das anliegende Parlamentsgebäude sehen, das die Revolution unbeschadet überstanden hat. „Es war nicht wichtig genug, um es zu stürmen“, spottet Haythem Jbeli. „Die Abgeordneten dort haben sich nur die Taschen mit Geld vollgestopft.“ Nach der Wahl im Oktober dürfte ihm nun eine wichtigere Rolle zufallen. Vor einem Sieg der islamistischen Ennahda-Partei hat aber auch Jbeli keine Angst. „Das Regime von Ben Ali hat sie diffamiert und ihnen sogar Attentate in die Schuhe geschoben“, meint er. „Aber eine Hamas oder eine Islamische Heilsfront wie in Algerien hätte bei uns gar keine Chance“, ist er überzeugt.

In den Mosaiken im Bardo-Museum sieht Jbeli ein Sinnbild für die tunesische Kultur, die vom Pluralismus geprägt sei. „Islamisten, Liberale und Linke begegnen sich bei uns mit Respekt“, meint er. Wenn das stimmt und das so bleibt, dürften die Touristen bald schon wieder nach Tunesien zurückkehren.

■ Diese Reise wurde vom Fremdenverkehrsamt Tunesien ermöglicht