Eine unangenehme Botschaft

Die Ausstellung „Nachbarn. Deutsche Motive in polnischer Gegenwartskunst“ erinnert daran, was viele Deutsche lieber verdrängen: Dass man in Polen mit ihnen vor allem den Nationalsozialismus verbindet. Der Ton der jungen Generation ist ein neuer: weniger emotional, dafür freudig polemisch

„Die Deutschen sind oft überrascht, dass sie nach wie vor vor allem mit dem Nationalsozialismus identifiziert werden“

von FRIEDERIKE GRÄFF

Noch bevor die Ausstellung in den kargen Räumen des Kulturforums in Hamburg-Altona eröffnet war, kam der Quartiermanager und fragte, warum sie solche Bilder ausstellten. Das warum bezog sich auf ein Foto, das Häftlinge hinter einem Stacheldrahtzaun zeigt. Das Foto kommt jedem bekannt, weil es eines gibt, das Häftlinge im KZ Auschwitz zeigt, in der gleichen Haltung und Anordnung. Der polnische Künstler Zbigniew Libera hat es mit heutigen Bewohnern von Auschwitz nachgestellt und „Die Einwohner“ genannt. Die Einwohner lachen.

Es scheint, als habe der Quartiermanager Anstoß daran genommen, dass man so nicht mit einem Foto aus dem KZ umgehen könne. Und es ist interessant festzustellen, dass es immer wieder Deutsche sind, die zu wissen scheinen, wie man sich adäquat des Nationalsozialismus erinnert. Und es könnte ironisch scheinen, dass die Einwohner Auschwitz wiederum einen langen Kampf darum führen, nicht ausschließlich mit dem Konzentrationslager der Deutschen identifiziert zu werden.

Für den Prospekt hat der Kurator Jaroslaw Lubiak einen Brief geschrieben: „Liebe Nachbarn“, heißt es darin, „hier eine Nachricht, die vielleicht keinen Empfänger erreichen soll … Es ist eine Botschaft, die vielleicht irgendwo unterwegs verloren gehen sollte, weil sie zu grausam oder in unangenehmer Weise zu bedrückend scheint.“ Er schreibt, dass es dennoch eine minimale Chance gibt, dass ein Teil ankommt. „Lasst uns daher die Ausstellung eröffnen, um zu zeigen, was durch künstlerische Arbeit vergessen werden muss.“

„Die Deutschen sind oft überrascht, dass sie nach wie vor vor allem mit dem Nationalsozialismus identifiziert werden“, sagt Magda Ziomek-Beims von der Bremer polnisch-deutschen Kulturinitiative „agit-polska“, die die Ausstellung gemeinsam mit der Breslauer Stiftung „pro arte“ organisiert hat. Um so überraschter möglicherweise, da die KünstlerInnen, bis auf eine Ausnahme, lange nach Ende des Zweiten Weltkriegs geboren sind. Vielleicht überrascht es auch, dass die polnischen Kuratoren hier keineswegs Auftragswerke zeigen – das Thema ist ohnehin präsent in der polnischen Gegenwartskunst und das fernab des populistischen Getöses der Kaczyński-Regierung.

Tatsächlich sind die Computerstickereien des 1939 geborenen Videokünstlers Józef Robakowski, dem ältesten Teilnehmer der Ausstellung, deutlich weniger polemisch als die der Jungen. Robakowski zeigt unter dem Titel „Die gewöhnlichen Deutschen“ Fotos der Einwohner des Dorfes „Kleinsassen“, mit denen er sich zwischen 1987 und 2006 anfreundete. Er sei „beschämt“ gewesen, als er die durch die Computerstickerei verfremdeten Bilder gesehen habe, sagt Robakowski. Darin hätten die Porträtierten ihre Seele verloren.

Die jüngeren Arbeiten sind dagegen bereits „Reaktion auf die Reaktion“, so nennt es Magda Ziomek-Beims. Reaktion auf die meist figürlichen Arbeiten, die polnische KünstlerInnen unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs geschaffen haben: Deformierte Körper, bloße Schatten in Häftlingskleidern – die Welt nach der totalen Katastrophe. 60 Jahre später ist der Ton mal ironisch, mal ätzend. Kamil Kuskowski, Mitkurator der Ausstellung, hat aus den deutsch-polnischen Kriegen Fußballspiele gemacht: „Grunwald. 15. 7. 1410“ ist dann in weißer Schrift auf grünem Rasen zu lesen. „Polska – Niemcy. 3:0.“

Polemischer wird Rafal Jakubowicz mit der Installation „Arbeitsdisziplin“, die ihm prompt Ärger mit VW eingebracht hat. Er zeigt das Firmenwerk in Posen, das mit seinem aufragenden Turm, der Schutzmauer drum herum und dem Stacheldraht davor an ein Arbeitslager erinnert. Es könne durchaus sein, befand Jakobuwicz, dass der Turbokapitalismus auf ähnliche Mittel zurückgreifen werde. Auf Druck des Werksdirektors wurde die Installation aus einer Ausstellung in Posen entfernt. Und zeitgleich der Stacheldraht vor dem Werk.

Der polnische Graphiker, der das Faltblatt zur Ausstellung gestaltet hat, fand das, was er abzubilden hatte, viel zu negativ. Er beschloss, etwas Eigenes hinzuzufügen und kreierte ein Etikett für ein Versöhnungsbier, das auf grünem Grund einen zweigeteilten Adler zeigt. Die Deutschen, die es sahen, dachten sofort an Becks-Bier. Und die Polen? An deutsche Zöllner.

Im Rahmen der „altonale9“ täglich 14–20 Uhr im Kulturforum Altona, Jessenstraße 10, Hamburg. Eintritt frei. Am 21. 6. diskutieren ab 19 Uhr Wolfgang Schlott und Georg Erdelbrock