: Der Spaßgeneralist
Do it yourself: Jacques Palminger inszeniert mit „Babylon Must Fall“ im Berliner Prater sein erstes Theaterstück
Am Anfang verliest Jacques Palminger ein Blatt Papier. Hager steht er in ausgebeultem Anzug, mit dünner Wasserwelle und Borat-Schnäuzer vor dem Haufen blutroter Kleidungsstücke, die die Bühne wie eine Messiebombe bedecken. Sein Stück, trägt Palminger in seiner leicht stockenden, lispelnden Stimmlage vor, komme aus einer Zeit, in der er mit täglich anderthalb Liter Wein und 12 Joints im Bett gelegen und alles über den Ersten Weltkrieg gelesen habe, und behandele unheimliche Kohärenzen.
Dass der Wahl-Hamburger Palminger, der mit „Babylon Must Fall“ sein erstes Stück als Regisseur im Berliner Prater, einer Außenstelle der Volksbühne, inszeniert, nun Regie führt, scheint die Fortsetzung einer konsequenten Unterwanderung der üblichen Ausdrucksmedien durch die freudige, durch zu große Bekanntheit längst nicht mehr so subversive Anarchie der Hamburger Clique mit Palminger, „Goldene Zitronen“-Kopf Schorsch Kamerun, Rocko Schamoni und Heinz Strunk zu sein. Bartträger Palminger hat eine astreine Unterhalter-Vergangenheit: Er war in den Achtzigern Country-Rockabilly-Schlagzeuger bei den Berliner Waltons, danach bis heute Solomusiker, Mitglied der De-luxe-Telefonstreichespieltruppe Studio Braun, Initiator des „Songs for joy“-Projekts, bei dem er eingeschickte Texte jeglichen Niveaus vertonte und aufführte, und Schauspieler für Freunde wie Kamerun, dessen Stück „Der kleine Muck ganz unten“ momentan an der Volksbühne läuft.
Später, im Interview, präzisiert er die Babylon-Genese: Die Idee entstammt der Meldung über eine vor Berlin gelegene Hanfplantage, die von bewaffneten Polizisten geräumt wurde. In der Inszenierung sitzen folgerichtig behaschte SoldatInnen in Camouflage um ein blubberndes Erdpfeifenloch, während auf zwei Leinwänden schwarz-weiße Kriegsbilder zittern, und warten in Songs und Dialogen darauf, den feindlichen Hubschrauberpiloten abschießen zu können.
Palmingers Humor ist einzigartig und entstammt einer langen Tradition aus einer dem Punk verpflichteten Liebe zum Dilettantismus, radikaler Parodie, einer echten Empathie und subversivem Sprachtalent. Er ist von Natur aus schon ziemlich amüsant, hatte allerdings auch nie etwas gegen Pathos. „Bei Studio Braun“, sagt Palminger im Interview, „unterhalten wir uns ganz oft darüber: Nach witzig kommt jetzt mal traurig.“ War die Zeit also reif für die ernsthaften Bretter? „Man wiederholt sich ungern“, sagt Palminger, und „bei Musik kann ich manchmal allein von der Aufstellung der Instrumente schon sagen, was für’n Sound gleich kommt.“
Theater hatte er bislang nur ein paar Mal als Darsteller erlebt. Darum die unvoreingenommene Begeisterung, darum „sitz ich fröhlich in jeder Aufführung, da gibt’s immer was zu gucken für mich, da hab ich nicht dieses abgehangene ‚Kenn-ich-schon‘ “. So geht er unbeschwert heran und arbeitet, wie er es gewohnt ist: „Es gibt halt immer einen, der dran ist, wie bei ’ner musikalischen Session“, erklärt er sein Konzept. „Ich übertrage die ganzen Parameter, die ich in der Musik gelernt hab, einfach aufs Theater. Es gibt keine Figur, es gibt nur Texte, die im schönsten Fall eine Tiefe haben.“
Das Format von Babylon ist „eine Agitprop-Veranstaltung“, sagt Palminger, auch aus akustischen Gründen habe man „ziemlich nach vorne spielen“ müssen, inhaltlich werden in wilder Mischung Texte von Ernst Jünger, Kriegsszenarien, Kifferwahn, leicht kitschige Kabarettsongs und Dub-Reggae zusammengerührt und gebrochen, die Kriegsbegeisterung von 1914 wird in absurden Sprechchören persifliert, dazwischen singen Frauen im blütenreinen Jamaican Patois „I’m gonna put on an iron shirt / and chase the devil out of earth.“
Für die SchauspielerInnen gab es nur wenige Vorgaben, bei Herbert Fritsch „hab ich einfach gesagt, mach mal“, erklärt der Regisseur, herausgekommen ist eine Szene, die interessanterweise gerade durch Fritschs Professionalität übertrieben wirkt: Fritsch als Soldat „Fröhlich Älter“ geht mit in Stand-up-Manier grässlich stark gespieltem Minderwertigkeitskomplex auf die Nerven. Das Gegenstück zum überkandidelten Fritsch ist die auch in Kameruns Stück bereits herausragende Mira Partecke, deren Part als Weichei-Soldat Schmackos, dem die anderen das nötige Brutalitätspotenzial einbrüllen wollen, ungeheuer anrührt und die Mundwinkel in Sekundenabständen nach oben und nach unten rutschen lässt: Partecke ist mit ihrer komischen Kinderstimme die legitime Nachfolgerin von Andy Kaufman, dem verstorbenen, bis in die Körperhaltung verzweifelten US-Comedian, der ebenfalls gleichzeitig Lachen und Weinen provozieren konnte.
Im Gegensatz zu Kollege Kameruns „Kleinem Muck“, der zusätzlich zu einigen guten Inszenierungsideen auch immerhin noch eine amtliche Gripstheater- Aussage gegen Rassismus versuchte, bleibt der Sinn bei Palminger allerdings hinter den Haschischschwaden verborgen. Was nur wichtig ist, wenn man es mit Theatermaßstäben misst. Betrachtet man „Babylon“ als ein weiteres Palminger-Projekt, als die Aneignung des oft in Bedeutungschwangerschaften, Befindlichkeiten und Kunstsinnigkeit ertrinkenden Mediums durch respektlose Banausen mit musikalischem Talent, dann macht es großen Spaß. JENNI ZYLKA