Ohnmacht mit Anspruch

THEMENTHEATER Mit seinem Spielzeit-Schwerpunkt „in transit“ spürt das Theater Bremen in den kommenden Wochen Flucht und Migration nach

Es ist zum Verzweifeln: Zum Mauerfalljubiläum wird dieser Tage mahnend derer gedacht, die an der deutsch-deutschen Grenze ums Leben kamen, während an den Grenzen des in Freiheit vereinten Europas Tausende sterben. Dass auch diese Mauer weg muss, ist von den Staatenlenkern kaum zu hören.

Die Künste aber lässt das Elend nicht kalt, auch wenn sie sich immer wieder als ohnmächtig erweisen. Wem hilft ein Lied, ein Bild, wenn anderswo oder vor der eigenen Haustür Menschen leiden? Die Waffe der Kritik, das wusste schon Karl Marx, kann die Kritik der Waffen nun mal nicht ersetzen.

Eingeschrieben ist diese Ohnmacht auch Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen“, entstanden im vergangenen Jahr als Reaktion auf die Besetzung einer Wiener Kirche im Januar 2013 durch 60 Asylsuchende; uraufgeführt als szenische Lesung in der Hamburger St.-Pauli-Kirche im September desselben Jahres. Nun ist das Stück ab 14. November in einer Inszenierung von Mirko Borscht am Theater Bremen zu sehen – als Teil des Spielzeit-Schwerpunkts „in transit“ über Migration und Flucht.

Intendant Michael Börgerding versteht das Bremer Theater offensichtlich als immer auch politische Einrichtung. Weshalb im Rahmen von „in transit“ gleich mehrere Inszenierungen aus dem Repertoire zu sehen sind, die um Rassismus, Neokolonialismus, Ausgrenzung kreisen: Jelineks „Die Schutzbefohlenen“; Klaus Schumachers „Othello“, in dem ein Mensch unter anderem seiner Hautfarbe wegen vernichtet wird; Samir Akikas „Belleville“, das der Choreograf mit Tänzern von fünf Kontinenten erarbeitet.

Dazu wird ein Konzert mit zeitgenössischer syrischer und arabischer Musik gegeben, eine Party mit globalen Beats gefeiert. Publikumsgespräche und Diskussionsrunden mit Politikern, Journalisten, Sozialarbeitern und ein „Nachmittag für Geflüchtete, Migrant_innen, Einheimische“ im Noon stehen in den nächsten Wochen ebenfalls auf dem Programm.

Optimistisch gesprochen kann so ein Schwerpunkt bei aller Notdürftigkeit dazu beitragen, dass sich Theater der Inanspruchnahme als Komfortzone jenes berühmte Stück weit verweigert: Dass es dem Publikum den Weg in die Alltagsflucht partiell verstellt und es stattdessen mit Themen konfrontiert, die zumindest für andere Menschen existenziell sind. Dass das nie genügt, weiß man auch im Theater selbst. Als „Versuch, auf die in Jelineks ‚Schutzbefohlenen‘ formulierte Bitte zu antworten: ‚Bitte bemühen Sie sich ein wenig, zu erfahren, was Sie niemals wissen können, bitte“, versteht das Bremer Haus seinen Schwerpunkt.

Und ist damit nicht allein: Unter dem Titel „November und was weiter“ spielt die Gruppe Das Letzte Kleinod ab dem 20. November auf verschiedenen Bahnhöfen im Nordwesten ein Stück über Flüchtlingsheime auf dem Land. Schon am Montag ist im Rahmen des Tanzfestivals „Africtions“ Marco Martinellis Stück „Wassergeräusch“ am Theater am Bremer Leibnizplatz zu sehen – ein „Oratorium von wahren Geschichten von Flüchtlingen“.  ANDREAS SCHNELL

■ Premiere „Die Schutzbefohlenen“: Fr, 14. 11., 20 Uhr, Kleines Haus

Auftaktveranstaltung „Flucht im Fokus #1: Asyl in Bremen“: Mo, 24. 11., 20 Uhr, Theater am Goetheplatz