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Archiv-Artikel

geflügelzucht Unesco, bitte helfen!Was nicht Wurst ist

Vertreter von knapp 400 Unesco-Welterbestätten konferieren derzeit in Lübeck. Darunter sind nur sechs aus Norddeutschland. Dabei gäbe es so viele würdige Orte. Deshalb geben wir dem Welterbe-Komitee für seine am 23. Juni beginnende Sitzung in Christchurch/Neuseeland eine Übersicht über die absolut unverzichtbaren und existenziell bedrohten Kandidaten an die Hand.

Als „beredter Zeuge einer großartigen Kulturleistung“ – so die deutsche Website der Welterbestätten – sollten die niedersächsischen Hühnerställe ins Welterbe aufgenommen werden. Nirgendwo in Deutschland treten sich so viele Hühner, Gänse und Puten auf die Krallen wie in diesem Flächenland: 72 Millionen der rund 125 Millionen Stück deutschen Nutzgeflügels bemühen sich hier um ein sinnvolles Leben, indem sie unter widrigen Bedingungen möglichst viele Eier legen und zartes Fleisch für den Grill ansetzen. Aufgrund der Vogelgrippe, die jederzeit wieder akut werden kann, ist diese Wirtschaftsform bedroht. Noch eine Vogelgrippen-Hysterie kombiniert mit einem panikbedingten Einbrechen der Nachfrage – und im Nu sind die Geflügelbetriebe Geschichte. Dabei ist die Massenhaltung von Gefangenen auf engstem Raum bei hoher Todesrate extrem deutsch. Unternehmer wie der oft als „Hühnerbaron“ betitelte Anton Pohlmann haben Großes geleistet. In den 1990er Jahren wurde er berühmt, weil er seine Tiere mit Nikotingas besprühte, angeblich zum Zwecke der Schädlingsbekämpfung. Millionen Tiere verendeten. Dabei ging es Pohlmann nur um eins: Jeder Deutsche soll sein Frühstücksei haben! Aus diesen Fakten lässt sich nur ein einziger Schluss ziehen: Die Geflügel-KZs müssen Weltkulturerbe werden – der Nachwelt zur Mahnung! KNÖ

wolfsburg

Geben und Nehmen

Entstanden als Annex zum VW-Werk, repräsentiert die ehemalige „Stadt des KdF-Wagens“ den harmonischen Übergang vom korporatistischen Wirtschaftsmodell des Nationalsozialismus zur Sozialpartnerschaft der Bonner Republik. Wolfsburg erfüllt damit in doppelter Hinsicht Art. 3 der Aufnahmekriterien, indem es ein „einzigartiges Zeugnis von einer kulturellen Tradition einer bestehenden“ und „einer untergegangenen Kultur“ darstellt, wobei abzusehen ist, dass es sich in Bälde um zwei untergegangenen Kulturen handeln wird. Der Niedergang des an den „Dritten Weg“ gemahnenden Modells von Geben und Nehmen zwischen Kapital und organisierter Arbeitnehmerschaft, das von 32-Stunden-Woche, übertariflicher Bezahlung und Lustreisen gekennzeichnet war, bedroht die Existenz Wolfsburgs. Deshalb erscheint eine Unterschutzstellung vordringlich. Inbegriffen wäre das VW-Gesetz als Garant für das Fortbestehen des Wolfsburger Modells. Der Schutzstatus sollte sich auch auf die beiden meistverkauften Autos der Welt, den Golf und den VW-Käfer, als weltweit wirksame Kulturträger erstrecken. Schließlich ist auch dem Fußball-Bundesligisten VfL Wolfsburg als herausragendem Vertreter des „Werksclub“-Modells Unesco-Schutz zuzuerkennen, verbunden mit dem dauerhaften Anrecht auf Tabellenplatz 15.  jank

dithmarschen

Der Atomstandort

Mit den beiden Kraftwerken Brokdorf und Brunsbüttel (Foto) verfügt der Landstrich Dithmarschen über ein einzigartiges historisches Ensemble von Atom-Reaktoren. Beide sind in die Liste des Unesco-Welterbes gemäß Artikel 2 des „Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt“ (Welterbekonvention) vom 16. November 1972 aufzunehmen. Als technische Denkmale des Aufbruchs ins Atomzeitalter und als symbolträchtige Orte der politischen Diskussion darum haben sie außergewöhnliche Bedeutung erlangt: Hervorzuheben ist der grenzüberschreitende Charakter der Anlagen, die, obzwar lokal stationiert, messbare Wirkungen mindestens in großen Teilen Skandinaviens und im internationalen Raum der Nordsee verursachen können. Einzigartig sind beide Industriedenkmale: Brokdorf hat – unter anderem durch die so genannte Schlacht von Brokdorf – den Status eines weltweit wahrnehmbaren Symbols der Auseinandersetzung mit dieser Form der Energiegewinnung erlangt. Das 1970 in Brunsbüttel begonnene Bauwerk wiederum kann für sich beanspruchen, der erste Reaktor der Siedewasser-Technologie in Deutschland zu sein. Andererseits weist kein anderes deutsches AKW vergleichbare Stillstandszeiten wegen Pannen und Störfällen auf. Erfüllt ist zudem das Kriterium der Authentizität: So wird hier selbst die vorschriftsmäßige Montage der Dübel überprüft. Um den Charakter des Denkmals nicht zu beeinträchtigen, empfiehlt das Welterbe-Komitee dringlich die Reaktoren-Laufzeit ad infinitum zu verlängern.  bes

bremen-tenever

Stätte der Verdichtung

Dieses ist ein Eilantrag. Der Bremer Ortsteil Tenever ist unter Denkmalschutz zu stellen, die 2004 begonnenen so genannten Rückbaumaßnahmen sind zu stoppen: Tenever gehört auf die Unesco-Welterbeliste.

Grund: Die in den 1970er Jahren auf dörflich geprägtem Terrain errichtete Hochhaussiedlung ist markantes Beispiel für die mittlerweile verworfene städtebauliche Ideologie der „Verdichtung“. Einzigartig wird sie durch zwei Aspekte: Einerseits wurde hier auf engstem Raum, gleichsam in vitro eine in keiner Weise abgefederte Bevölkerungs-Explosion in die Wege geleitet – der Ortsteil hatte vor 1970 kaum 1.000 Einwohner, 1995 hingegen 13.665. Andererseits ist der das Bauprojekt legitimierende Berechnungsfehler uneingeholt: Die Planer gingen davon aus, Bremen werde bis zum Jahrtausendwechsel die Millionengrenze überschritten haben – die Stadt jedoch schrumpfte. Stilistisch ist Tenever ein frühes und besonders reines Beispiel der Kotzklotz-Architektur. Da diese der aktuellen baulichen Mode nicht mehr entspricht, wurde 2004 hier mit der – aus denkmalpflegerischer Sicht nicht genug zu beklagenden – planmäßigen Zerstörung der Bausubstanz begonnen.

Besondere Schutzmaßnahmen sind für das singuläre Soziotop Tenever einzuplanen: In seinen 2.653 Wohnungen leben mehr als 80 verschiedene Nationalitäten nebeneinander. Diese spannungsreiche Mischung ist durch eine den Ist-Zustand zur Grundlage wählende Kontingentierung der Plätze zu bewahren. Im Falle von Auszügen sind neue Teneverbewohner – sollten geeignete Bewerber fehlen – gegebenenfalls aus den entsprechenden Herkunftsländern anzuwerben.  BES

„Das Großstadtrevier“

Hamburger Kuschelkiez

Ein „einzigartiges oder zumindest außergewöhnliches Zeugnis von einer kulturellen Tradition oder einer bestehenden oder untergegangenen Kultur“ hat zu sein, was in den Rang geschützten Welterbes zu gelangen hofft? Nun, untergegangen ist es nicht, das Rotlichtviertel im Hamburger Stadtteil St. Pauli, mit dem die Hansestadt bis heute weltweit in Verbindung gebracht wird. Aber es hat, so versichern es Gewährsleute wie der altgediente Krimi-Regisseur Jürgen Roland (Foto: Mitte), seinen Charakter doch schon sehr geändert. Der spezifische Mix aus Derbem und Herzlichem, von Raubeinigkeit, Anker-Tätowierung und der Wahrung von Restanstand auch bei nicht-legalen Geschäften – so es ihn je gegeben hat – ist er Vergangenheit. Aufbewahrt wird diese gute alte Elbkanten-Zeit nicht mal mehr im „Tatort“ des NDR – einzig in dessen Vorabendprogramm findet der Kuschelkiez noch eine Heimstatt: Gefühlte 300 Episoden lang schauen die Jungs und Deerns vom „Großstadtrevier“ bereits großen Haien und kleinen Fischen auf die Flossen, retten gefallene Mädchen und zu hoch gekletterte Haustiere und sind zwischendurch immer für einen gepflegten Schnack zu haben. Helft dieses strahlkräftige Bild der Pfeffersack-Metropole bewahren, Unesco-Entscheider! Sonst hält die Welt diese Stadt am Ende noch für die Heimat einer Bulettenvariation.  aldi

varusschlacht

Mythische Orte

Die Varusschlacht ist ein weltgeschichtliches Ereignis. Sie symbolisiert das Ende der römischen Expansion nach Nordosten und kann daher sozusagen als Stalingrad des Imperiums gelten. 2009 ist 2.000-jähriges Jubiläum – und damit ein verstärktes Interesse garantiert. Warum nicht das Schlachtfeld termingerecht zum Welterbe erklären lassen? Weil sich viele so antike Schrottplätze um den Titel reißen? Gerade das könnte der Pfiff der Bewerbung sein: Kalkriese, das Lippische Land – sie und viele andere sollten zugleich Welterbe werden, denn der Mythos Varusschlacht lebt vom Ungeklärten. Das kann nur heißen: „Deutschlands Norden“, von dem das Spottlied als Ort der Handlung berichtet, muss einer Veränderungssperre unterworfen werden. Dazu alles, was geholfen hat, den Legionen den Garaus zu machen: die fiesen Moore, die finsteren Wälder und vor allem: das schlechte Wetter.  KNÖ