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Archiv-Artikel

„Vier Jahre lang gute Erfahrungen gesammelt“

taz: Frau Jordan, wie fühlen Sie sich als Klassenlehrerin in den letzten Wochen des letzten Schuljahres ihrer Zehntklässler?

Ruth Jordan: Es fällt mir sehr schwer, mich von dieser Klasse zu trennen. Jeder Einzelne in der Klasse ist mir ans Herz gewachsen – aus den unterschiedlichsten Gründen. Es ist keiner dabei, von dem ich sagen müsste: Ganz gut, dass ich den nicht mehr jeden Tag sehen muss. Und auch die SchülerInnen sind zwar gerade sehr mit ihrer Zukunft beschäftigt, sie müssen sich aber auch immer mal wieder bei uns rückversichern: Seid ihr noch da? Und das finde ich gut.

Glauben Sie, dass Sie erfolgreich waren als Lehrerin?

Ich wünsche mir immer, ich hätte ihnen noch mehr mitgeben, mehr beibringen können. Manche unserer Schüler sind einfach zu jung, zu unbeholfen. Es fehlt ihnen an Sicherheit und Souveränität. Sie sind gut hier im gewohnten Kontext ihrer Schule, ihrer Klasse. Aber draußen, in einer Bewerbungssituation, ist das etwas anderes. Ich frage mich oft, wie man das noch besser trainieren kann. Man kann den Ernstfall ja immer nur simulieren.

Auch vielen Ihrer SchülerInnen fällt es sehr schwer, zu gehen.

Ja. Die Identifikation der Schüler mit unserer Schule ist sehr hoch. Sie fühlen sich wohl hier, sie sind geschützt, sie werden respektiert und gefördert. Das ist gut. Aber es wird dann, wenn die Schule zu Ende geht, auch ein Problem. Es fällt manchen Schülern schwer, zu gehen. Hier haben sie vier Jahre lang gute Erfahrungen gemacht. Und danach geht es für die meisten nicht so weiter. Das wissen sie.

Was kommt jetzt auf die SchülerInnen zu?

Es ist durch die Einführung des Mittleren Schulabschlusses für viele noch schwerer geworden, eine Lehrstelle zu finden. Denn da jetzt eben auch jeder Hauptschüler – jedenfalls formal – die Chance hat, einen MSA zu erreichen, wird der Hauptschulabschluss weiter abgewertet. Für die, die einen Ausbildungsplatz finden, ist oft die Berufsschule ein Problem. Dort wird wenig Rücksicht auf die Hauptschüler genommen, es wird nicht mehr gefördert – Berufsschullehrer ziehen ihren Stoff durch. Viele scheitern daran.

Für die, die keine Lehrstelle haben, gibt es verwirrend viele Maßnahmen und Angebote. Ist das gut organisiert? Sind die Angebote gut und vor allem: richtig für die Jugendlichen?

Ich kann die Qualität dieser Maßnahmen nicht beurteilen, dafür sind sie auch zu vielfältig und unterschiedlich. Ich sehe aber, dass es für die Jugendlichen oft schwer ist, sich in neue Klassenverbände zu integrieren. Unsere Schüler sind ja keine einfachen. Sie brauchen manchmal lange, um sich in ihrer Umgebung wohl zu fühlen und dann auch zeigen zu können, was sie drauf haben. Für manche ist es ein Problem, sich da noch mal ganz neu orientieren zu müssen, und oft ja nur für ein Jahr. Manche steigen da aus.

Was wünschen Sie Ihren SchülerInnen?

Ich wünsche mir, dass jeder von ihnen seinen Weg findet, wie immer der auch aussehen mag. Ich wünsche mir, dass sie glücklich werden und etwas finden, womit sie zufrieden sind in ihrem Leben. Und ich wünsche mir auch – das ist ein bisschen egoistisch –, dass sie etwas von dem, was sie bei uns an Selbstbewusstsein mitbekommen haben, retten können in das Leben, das nach der Schule kommt.

INTERVIEW: ALKE WIERTH