: Normalität zum Aufsetzen
KREBS Ann-Kathrin Guballa gibt krebskranken Frauen nach der Chemotherapie ein Stück Lebensqualität zurück. Sie knüpft ihren Kundinnen passgenaue Perücken – teilweise aus ihrem eigenen Haar. Was die Frauen bekommen, ist viel mehr als eine neue Frisur
Ann-Kathrin Guballa, Perückenmacherin
VON MARIKE STUCKE
Ein Nachmittag in Hamburg-Eimsbüttel. Drei Frauen probieren Perücken: Jegliche Formen und Farben, Ponyteile und Zöpfe. Sie lachen viel, wie in einer kleinen Modenschau unter Freundinnen, auch wenn der Anlass eigentlich nicht zum Lachen ist. Ann-Kathrin Guballa hat ihrer Kundin gerade die Haare abrasiert, eine Verwandte will sie mit ihrer Anwesenheit unterstützen. Die Kundin ist krebskrank und nach der Chemotherapie lösten sich die ersten Haare. Sie ist in den Laden „Königinnen“ gekommen, um sich nun eine Perücke anfertigen zu lassen.
Ann-Kathrin Guballa ist gelernte Maskenbildnerin und bietet in ihrem Laden im Eppendorfer Weg Perückenanfertigung und Make-up Beratung an. Es kommen hauptsächlich Frauen, die trotz ihrer Krebserkrankung zumindest nach außen hin normal weiterleben möchten. „Die Hoffnung ist groß, dass die Haare bleiben“, sagt die 41-Jährige. „Aber nur vier Prozent der Frauen behalten ihre Haare nach der Chemotherapie.“ Bei den meisten fange die Kopfhaut irgendwann an zu jucken und die Haare fielen aus. Die Frauen sind teilweise erstaunlich jung. „In letzter Zeit kommen schon Frauen Anfang 20, die nach einer Chemotherapie ihre Haare verloren haben“, sagt Guballa. Nach oben hin sei die Altersskala offen.
Männer kommen nur selten zu Guballa. „Für einen Mann ist es meist nicht ganz so schlimm, wenn er mit einer Glatze herumlaufen muss“, so Guballa. Für Frauen seien die Haare ein wichtiger Teil ihrer Weiblichkeit. Mit ihrer Arbeit will Guballa ihnen einen Teil des Lebens vor der Krankheit erhalten.
Es hat etwas gedauert, bis Ann-Kathrin Guballa zu ihrer jetzigen Beschäftigung kam. Mehr als 20 Jahre arbeitete sie als Maskenbildnerin für Film- und Theaterproduktionen. Die Idee für den Laden „Königinnen“ kam ihr dann durch einen Zufall. Sie traf eine Frau, die ihr von ihrem Krebsleiden erzählte. Sie war nach der Chemotherapie auf eine Perücke angewiesen und hatte sich noch im Krankenhaus ein Exemplar gekauft, das aber völlig unnatürlich aussah.
Ann-Kathrin Guballa brachte das ins Grübeln: Perücken knüpfen und das passende Make-up für ein frischeres Aussehen auftragen – all das hatte sie in Ausbildung und Beruf jahrelang praktiziert. „Ich hatte immer mal wieder Perücken für krebskranke Frauen gemacht, die mich schon durch meine Arbeit für Filmproduktionen oder am Theater kannten“, erzählt Guballa. „Nach so einer Behandlung hatte ich immer ein Hochgefühl, weil ich etwas Sinnvolles gemacht habe, mit etwas, was ich kann.“ So entstand die Idee für ihr Geschäft.
Werben muss die 41-Jährige für ihren Laden nicht. „Es hat sich unter den Frauen herumgesprochen, dass sie hier nicht irgendwas angedreht bekommen, was sie hinterher sowieso nicht tragen“, sagt Ann-Kathrin Guballa. Auch Krankenhäuser und Ärzte gäben ihre Werbe-Flyer an die Frauen weiter.
Ein Grund dafür ist sicher auch, dass die Frauen trotz Perücke nicht auf ihr eigenes Haar verzichten müssen. Die Maskenbildnerin verwendet oft das Haar ihrer Kundinnen, um daraus eine Perücke zu knüpfen. Wenn sich die ersten Strähnen durch die aggressive Chemotherapie lösen, schneidet die gelernte Friseurin das Haar ab und verbindet es zum Beispiel mit einer Echthaarperücke.
„Die Fertigprodukte haben alle einen ganz geraden Ansatz. Kein Mensch sieht wirklich so aus“, sagt Guballa. Diesen Ansatz ersetzt sie durch das eigene Haar der Kundin. Dafür wird der vordere Teil der Montur, das Gewebe mit dem die Haare verknüpft sind, abgeschnitten. Ann-Kathrin Guballa setzt anschließend einen weicheren Tüll auf. Seine Form ist dem Ansatz der Kundin nachempfunden. Mit einer Knüpfnadel werden dann jeweils nur einzelne Haare pro Knoten verknüpft – auf einen Quadratzentimeter kommen nur etwa 18 Haare. Die Perücke wird dann gefärbt und geschnitten, sowie das richtige Aufsetzen geübt. Ann-Kathrin Guballa geht dabei geduldig vor: „Wir üben so lange, bis sie sicher im Umgang sind und nach fünf Tagen können meine Kundinnen es meistens besser als ich.“
Anfertigung und Abschlussgespräch kosten bei dem beschriebenen Modell bis zu 1.600 Euro. Für den „Ein-Frau-Betrieb“ ist auch die Anonymität wichtig. Von außen ist das Anpassen der Perücken im Laden nicht zu sehen; der Name „Königinnen“ könnte ebenso auf einen Friseur oder einen Hutladen hindeuten. Bewusst hat Guballa diese Bezeichnung gewählt. Es soll kein Zusammenhang mit Krankheiten hergestellt werden. Laufkundschaft gibt es wenig. „Seit der Eröffnung ist es vielleicht vier Mal vorgekommen, dass jemand einfach in den Laden kam“, so Guballa. Üblicherweise hat sie ein bis zwei Kunden mit festem Termin am Tag. Es soll genug Zeit für Gespräche bleiben. „Notfalls können die sich hier dann auch ausweinen“, sagt Guballa.
Der größte Unterschied zu ihrem bisherigen Beruf ist das gute Gefühl, dass die Arbeit bei der Maskenbildnerin hinterlässt. „Bei Fernseh- und Werbeproduktionen wird ganz oft so getan, als gehe es um Leben und Tod. Dabei handelt sich nur um einen 20-Sekunden-Spot für eine braune Sauce.“ Mit dem, was Ann-Kathrin Guballa jetzt macht, geht es um das Wesentliche. Darum, den kranken Frauen ein bisschen Lebensqualität zurückzugeben. „Für mich ist es so, als würde ich den Frauen ein Geschenk machen“, sagt sie. „Ein haariges Geschenk!“