: Bahn droht mit Enteignung
Eine Tochter der Landesbank Baden-Württemberg ködert im Auftrag der Bahn Hausbesitzer, die vom S-21-Tunnelbau betroffen sind, mit Entschädigungszahlungen. Auch mit Enteignung wird gedroht. Die LBBW Immobilien Landsiedlung GmbH darf im Grundbuchamt umfangreiche Daten erheben. Juristen warnen, Angebote vorschnell anzunehmen
Welche Behörde Also das kann so nicht stimmen: „… weshalb die DB Projektbau die Beschaffung solcher Daten ‚für das Großprojekt Stuttgart 21/Wendlingen–Ulm‘ durch die Landsiedlung GmbH ausdrücklich ‚legitimiert‘.“ Wenn jemand Mitarbeiter der LBBW legitimieren kann, Einsicht in Grundbücher zu nehmen und Grundbuchdaten zu erfassen, dann kann das mit Sicherheit nicht die DB Projektbau tun. Eine solche Genehmigung kann nur von einer übergeordneten Behörde erteilt werden. Welche Behörde ist das? Wie steht es um die parlamentarische Kontrolle derartiger Vorgänge? khsiber
@khsiber Das ist so nicht richtig, nach §12 GBO kann jeder, der ein berechtigtes Interesse hat, Einsicht nehmen. Bei dem in Rede stehenden Schriftstück wird es sich daher um eine Vollmachtsurkunde handeln, mit der die Genannten ermächtigt werden, entsprechende Rechte stellvertretend für die DB zu nutzen. AdrianW
von Meinrad Heck
Einen kleinen Seitenhieb mag sich Claus-Joachim Lohmann nicht verkneifen. „Sind Bewaffnete hier im Versammlungsraum? Und wenn ja, so mögen sie sich jetzt zu erkennen geben.“ Niemand gibt sich zu erkennen. Wirklich zu erwarten war die Anwesenheit bewaffneter Zivilpolizisten auch nicht beim Treffen von ein paar Dutzend Hausbesitzern, die unsicher sind und fachlichen Rat suchen, was denn der zu erwartende Stuttgart-21-Tunnelbau für ihr Eigentum bedeutet. Aber der Verwaltungsrechtler Claus-Joachim Lohmann von den „Juristen zu Stuttgart 21“ schätzt glasklare Verhältnisse. Jener bewaffnete Zivilpolizist, der bei einer Montagsdemonstration im Juni attackiert worden war, spukt eben immer noch in den Köpfen herum.
Viele Hausbesitzer in und um Stuttgart haben Post erhalten. Geschrieben hat ihnen die LBBW Immobilien Landsiedlung GmbH. Die Immobilientochter der Landesbank Baden-Württemberg gab sich als Beauftragte der Deutschen Bahn zu erkennen. Es geht um die Tunnelarbeiten für Stuttgart 21, um Grund und Boden und darum, ob und wie man ihn „unterfahren“ darf. Dieses Unterfahrrecht ist eine komplizierte Angelegenheit. Derzeit läuft routinemäßig ein sogenanntes Einigungsverfahren. Danach käme ein behördliches Verfahren und am Ende ohne Einigung auch ein Gerichtsverfahren. Im diesem schlimmsten Fall droht theoretisch eine Enteignung, und Rechtsanwalt Claus-Joachim Lohmann hält es zumindest für denkbar, dass es von Fall zu Fall auch darauf hinauslaufen könnte, wenn die Hausbesitzer ein von der LBBW unterbreitetes Entschädigungsangebot der Bahn nicht annehmen.
Der LBBW-Tochter und der Bahn geht es darum, mögliche Grundstücksankäufe schnell abzuwickeln oder die sogenannten Überbau- und Unterbaurechte „zügig zu beschaffen“. Dafür gibt es Entschädigungsangebote nach Anteil der betroffenen Grundstücksfläche von bis zu zwei Prozent des Verkehrswertes. Den Verkehrswert muss man erst einmal kennen, die Adressen und Eigentumsverhältnisse auch, weshalb die DB Projektbaudie Beschaffung solcher Daten „für das Großprojekt Stuttgart 21/Wendlingen–Ulm“ durch die Landsiedlung GmbH ausdrücklich „legitimiert“.
Mitarbeiter der LBBW-Landsiedlung sind demnach „berechtigt“, Verhandlungen über den Flächenerwerb und Bauerlaubnisverträge zu führen und unterschriftsreife Verträge – gegen Zahlung einer Entschädigung – vorzubereiten. 18 in einem sogenannten Legitimationsschreiben namentlich erwähnte LBBW-Mitarbeiter können demnach Grundbücher und Grundakten einsehen, sie können Abschriften daraus ausdrücklich „verlangen“ und nach rechtmäßigen Eigentümern forschen. Ihnen soll Zugang zu Bauakten und Katasterunterlagen oder die Besichtigung einzelner Grundstücke gestattet werden.
Gegen das Sammeln solch umfangreicher Daten werden sich die Betroffenen kaum wehren können. Was mit den Daten bei der LBBW-Tochter passiert, werden sie ebenfalls kaum kontrollieren können. Bei einem Entschädigungsangebot, mahnt Rechtsanwalt Lohmann, sei jedoch „höchste Vorsicht“ angebracht. Denn was finanziell mit bis zu 3.000 Euro oder mehr verlockend nach schnellem Geld klingt, kann zum Bumerang werden. Man gibt, sagt Lohmann, „mit seinem Einverständnis das Heft des Handelns aus der Hand“.
Zumal die wenigsten wissen, wie sie denn überhaupt vorgehen sollen. Schon der Versuch, selbst herauszubekommen, wo exakt der zu erwartende Tunnel verläuft, in welcher Tiefe unter dem eigenen Haus und welche Schäden durch Erschütterungen während der Bauphase entstehen können, stößt an Grenzen.
„Ich bin Architekt“, sagt Marc Oei, selbst ein betroffener Hauseigentümer, „ich kann Pläne lesen“, aber: „Kann das auch ein Rentnerehepaar?“ Oei, dessen Vater 1950 aus Indonesien nach Deutschland einwanderte, fühlt sich als waschechter Schwabe. Als einer, der nicht vorschnell gegen Großprojekte opponiert, denn seine Büropartnerschaft lebt von der Planung auch solcher Projekte. Bei Stuttgart 21 jedoch, bei der „Null-Information“ für Betroffene, „läuft mir langsam die Galle über“. Schon der Versuch, Einzelheiten über den Tunnelbau und seinen exakten Verlauf herauszubekommen, ist für Otto Normalbürger praktisch zum Scheitern verurteilt. Wer beim Eisenbahn-Bundesamt nachfragt, das für die Planfeststellung, also die Genehmigung zuständig ist, erhält eine lapidare Antwort: Die Betroffenen hätten bei der Offenlegung der Pläne „Gelegenheit gehabt, Einwendungen zu erheben“. Dann weiß diese Behörde im Einzelfall natürlich auch, dass „dies nicht geschehen ist“, und weil es nicht geschehen ist, sieht sich das Eisenbahn-Bundesamt bei detaillierten Nachfragen „außerstande, Ihnen die gewünschte Information zukommen zu lassen“.
Als Trostpflaster hilft nur noch, beim Amt vor Ort Einsicht zu nehmen. Diese wird auf Anfrage gewährt. Und dann stehen ziemlich ratlose Bürger vor ein paar Dutzend Aktenordnern, in denen sie ihr Häuschen finden und die Auswirkungen des Tunnelbaus verstehen sollen. Ein bisschen genauer antwortet zwar das Bürgerbüro der Stadt Stuttgart, verbunden jedoch mit der „Bitte um Verständnis“, dass die Auskünfte sich auf mehrere Jahre alte Planunterlagen bezögen, weswegen „eine Haftung für Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität der Unterlagen nicht übernommen werden kann“.
Auf Basis solcher Informationen dürfen Hausbesitzer dann das Entschädigungsangebot der LBBW-Tochter im Auftrag der Bahn bewerten. Schon werden fragende Stimmen aus Kreisen kritischer Juristen laut, ob angesichts solch dürftiger Informationen die Mitarbeiter der Landesbank nicht „wie eine Drückerkolonne“ wirken. Und ein reichlich wütender Architekt Marc Oei empfiehlt den verantwortlichen Behörden deshalb, wenigstens ein paar Studenten einer Fachhochschule für Architektur einzustellen. Die könnten für die Bürger „wenigstens die Pläne lesen“.
In der Frage nach Details hält man sich bedeckt
Die LBBW-Immobilientochter lässt Anfragen der Kontext:Wochenzeitung unbeantwortet. Projektleiter Michael Probst bestätigt per E-Mail lediglich, dass sein Haus von der Bahn „mit Grunderwerbsverhandlungen beauftragt“ worden sei. Um wie viele Fälle es geht, was im Detail geplant, wie es zur LBBW-Zusammenarbeit mit der Bahn gekommen ist, um welches finanzielle Volumen es geht, all dies bleibt vorerst unbeantwortet.
Auch die Frage, ob tatsächlich das Stichwort „Enteignung“ falle, wenn Hausbesitzer den Köder nicht schlucken und Entschädigungszahlungen ablehnen, mochte die LBBW-Tochter nicht selbst beantworten. „Mit unseren Auftraggebern wurde abgestimmt, dass sämtliche Anfragen bezüglich des Projekts S 21 zentral von der Pressestelle des Kommunikationsbüros beantwortet werden“, heißt es seitens der LBBW-Tochter. Eine schriftliche Anfrage bei jenem Kommunikationsbüro wurde dort zwar gelesen, sie blieb bis Redaktionsschluss aber unbeantwortet.
Aus einem uns vorliegenden Dokument der Bahn geht indes hervor, wie Hausbesitzer sich unter Druck gesetzt fühlen können. Die DB Netze schreibt: „Eine entsprechende Tunneldienstbarkeit“ (das Recht zur Unterfahrung eines Grundstücks) zu Gunsten der Bahn könne „auch zwangsweise im Weg der Enteignung ins Grundbuch eingetragen werden“, „wenn eine Einigung zwischen Bahn und Eigentümer scheitert“. Die Bahn empfiehlt Hausbesitzern deshalb „ein Gespräch mit unserem Dienstleister“ – der LBBW-Immobilientochter.