: Malerei nach Mitternacht
In den Siebzigerjahren Softsex-Darsteller, heute Maler: Das Z-inema würdigt Michel Jacot mit Ausstellung und Filmen
Der grauhaarige, braun gebrannte Mann steht auf dem Treppenabsatz vor der Wohnungstür und freut sich, dass man es geschafft hat. Er wohnt ganz oben. Und auch noch in Alt-Glienicke, wo nur der Bus hinfährt, alle 10 Minuten zu Stoßzeiten. Seine Wohnung ist ein Museum. Ein Michel-Jacot-Museum, die Wände sind Collagen: Kunst von Michel Jacot. Zeitungsartikel über Michel Jacot. Filmstandfotos, Pressefotos, psychedelische Plattencover aus den Sechzigern mit Titeln wie „Pushkin-Party-a-gogo“ oder „Diskothek nach Mitternacht“. Jacot ist, war der schlanke Junge mit den dicken Koteletten und der Charakternase. Ein Siebzigerjahre-Gesicht. Jetzt ist er 67.
„Wir können uns doch auch duzen, oder?“, fragt er tonlos. Vor zwei Jahren hat der Krebs eine der beiden Stimmlippen gefressen. Jacot war damals bereits krankenhauserfahren, eine schwere Leberzirrhose. Er bietet Wasser an, stellt das Glas auf den kleinen Maltisch, der zwischen Staffelei und Fernseher steht. Darauf liegt ein aktuelles Werk, „da habe ich es mal mit einem Totenkopf versucht“, erklärt er, „dit ist ja gerade modern.“ Die Bilder an den Wänden sind abstrakter, Op-Art, grafische Muster, verschiedene Spritztechniken in satten Farben. Sie sind beeindruckender als seine figürlichen Bilder, als das große mit den rothaarigen Frauen, die in V-Formation aufmarschieren, umsäumt von Bäumen. „Beim Malen läuft der Fernseher“, erklärt Jacot, und da habe doch diese Rothaarige gewonnen, bei der Supermodel-Sendung, „rothaarige Frauen an die Front“ grinst Jacot, und erklärt, dass er am liebsten die Nächte durch malt.
Früher hat er die Nächte durchgefeiert. Gehörte er zur Münchner Prominentenclique. Jacot zeigt einen Artikel über seine Hochzeit 1976, in dem die Gästeliste abgedruckt ist: Abi Ofarim, Adrian Hoven, Rolf Eden. Damals war er bekannt wie ein läufiger Hund, hatte sich gerade vom Softsex-Darsteller zum Schauspieler gemausert. „Lass jucken Kumpel“ hieß die Filmreihe, die Deutschlands Kinosäle zum Fummeln brachte.
Auch bei „Der Teufel in Miss Jonas“ hat Jacot mitgespielt, und bei anderen einschlägigen Erwin-C.-Dietrich-Filmen, bei denen meist die Titel als Inhaltsangabe reichen, Filme wie „Eine Armee Gretchen“ oder „Frauen, die für Sex bezahlen“. Die Simmel-Verfilmung „Alle Menschen werden Brüder“ brachte ihm ernsthafte Anerkennung.
Vorher hatte der gebürtige Berliner, der als Kind im Krieg nach Salzwedel geflüchtet und dort aufgewachsen war, im Bergwerk gearbeitet. Hatte sich mit dem brutalen Stiefvater gestritten, war auf der Suche nach dem echten, aber nicht interessierten Vater bis nach Essen gekommen, hatte sich über viele Umwege in die Schauspielerei mit allem damaligen Drumherum, Feiern auf Sylt, Champagner im Nachtklub, gestürzt. Aber die Siebziger waren schnell vorbei, und Jacots Kino- und Fernsehjobs wurden weniger. Er arbeitete als Rechercheur für Journalisten, reiste, gründete in Berlin eine Transportfirma und fuhr Autoralleys. Die Pokale stehen noch in seiner Wohnung, zwischen den CD- und Plattenregalen, den Setzkästen mit Teetassen. Ende der Achtziger riss er Öfen ab, renovierte mit seiner damaligen Partnerin ein Haus, trennte sich zur Jahrtausendwende von ihr. Dann kamen die Krankheiten, von denen er genauso ausführlich erzählt wie von den anderen Lebensstationen. „Ich habe ein Foto von den kaputten Stimmlippen“, sagt er und holt einen dicken Ordner, „der ist nur von einem Jahr!“
Er hat das Internet entdeckt. Modern bleiben. Er drückt auf den Schalter der Kompaktanlage. Mallorca-Techno dröhnt durch das vollgestopfte Wohnzimmer. „50 Cent und Eminem hör ich auch.“ Dass er gern in einer Galerie ausstellen würde, sagt er, und als er sich herzlich verabschiedet, sieht man ihm die Vorfreude auf den Jacot-Abend an. An dem vielleicht mal wieder ein paar Leute gucken. JENNI ZYLKA
Heute 18–21 Uhr Uhr, Vernissage: „Michel Jacot lässt jucken“, ab 21 Uhr Szenen aus „Lass jucken, Kumpel“ (BRD 1972), Publikumsgespräch mit Jacot und zum Abschluss „Hausfrauenreport 4“, im Z-inema Kino, Mitte, Bergstr. 2,