: Erst vierzehn, aber ein 18-Stunden-Tag
Human Rights Watch prangert in einem neuen Bericht das Schicksal von minderjährigen Hausangestellten in Westafrika an. Vor allem Mädchen, die aus Mali in Mittelklassehaushalte von Guinea verschickt werden, müssen oft wie Sklaven leben
VON DOMINIC JOHNSON
Alice war drei Jahre alt, als ihre Eltern sie weggaben. Sie wurde eine Hausbedienstete bei ihrer Tante und arbeitet von frühmorgens bis spät in die Nacht.
Die 14-jährige Thérèse schuftet von 4 Uhr morgens bis 10 Uhr abends. „Ich wasche die Wäsche, putze das Haus, wasche das Geschirr, gehe einkaufen und gucke nach den Kindern.“ Ihre Familie hatte sie vor zwei Jahren zu diesen „Freunden“ gegeben. Jetzt sitzt sie fest, ohne Geld. „Wenn ich zu langsam bin, werde ich geschlagen. Sobald ich mich ausruhen will, sagt Madame, ich sei zum Arbeiten und nicht zum Ausruhen da, und schlägt mich mit einem elektrischen Kabel oder einem Gummireifen.“
Das Schicksal tausender Kinder, die in Westafrika als rechtlose Hausangestellte fern von ihren Familien schuften, ist Thema eines umfassenden Berichts, den die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch heute veröffentlicht. Untersucht wurde vor allem die Lage von Mädchen in Guinea, von denen 40 ausgiebig befragt wurden. „Der Verkauf von Kindern als Arbeiter ist in Westafrika ein zunehmendes Problem“, so HRW.
Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganistion (ILO) werden jedes Jahr 400.000 Kinder in Westafrika Opfer von Menschenhandel – ein Drittel der weltweiten Zahl. 73 Prozent aller Kinder in Guinea arbeiten, meist im Haushalt. Dass Kinder im Haushalt mitmachen, sobald sie laufen können, ist in ganz Afrika verbreitet – oft sieht man in ländlichen Gebieten kleine Mädchen Wasserbehälter schleppen, die fast so groß sind wie sie selbst. In Mali stellte die Regierung kürzlich fest, dass zwei Drittel aller Kinder über 5 Jahre arbeiten, mit steigender Tendenz.
Das Verschicken von Kindern aus Mali in das Nachbarland Guinea führt zu oft extremer Brutalität. Die Kinder gelten als fremd, man kann mit ihnen alles machen. Das Aufkommen einer städtischen Mittelschicht, auf die international große Hoffnungen als Träger einer Modernisierung Afrikas gesetzt werden, verschärft das Phänomen eher noch: Mehr Konsum und größere Häuser erfordern mehr Arbeit, und es hebt den eigenen Status, wenn Fremde diese erledigen. Die angekauften Kinderarbeiter müssen den Kindern der Familie das Essen zubereiten und die Betten machen, bekommen aber selbst weder zu essen noch haben sie Schlafplätze.
Ein anderer Zwang ist die Tradition der Mitgift, wobei die Familie einer Braut bei der Heirat der Familie des Mannes Geschenke macht. Die meisten Heiraten in Guinea finden statt, bevor das Mädchen volljährig ist. Familien, die nicht als bitterarm gelten wollen, versuchen sich durch den Wert der Mitgift zu beweisen. „Studien in Mali und Burkina Faso zeigen, dass der Druck, wertvolle Gegenstände für die Mitgift zu sammeln, enorm zugenommen hat“, so HRW. So müssen viele Mädchen mit Erreichen der Pubertät Geld verdienen.
Mädchen können aber auch durch Wanderung unabhängig werden. Die Recherchen von HRW legen nahe, dass Emigration wie eine Kettenreaktion funktioniert. Wer schon als Kind in die Fremde ging, ist auch eher bereit, bei der ersten Gelegenheit in ein anderes Land zu gehen.
Konkret geht es Human Rights Watch jetzt darum, die Lage der Kindersklaven von Guinea zu verbessern. „Wir fordern die Einrichtung eines Sozialdienstes zum Kinderschutz in Guinea, in enger Kooperation mit lokalen NGOs und Unicef; die strafrechtliche Verfolgung von Kindesmissbrauch, Ausbeutung von Kindern und Kinderhandel; und Programme zur Förderung des Schulbesuchs durch Mädchen, die als Hausangestellte arbeiten“, sagt HRW-Kinderrechtsexpertin Juliane Kippenberg. „Die Bundesregierung hat während der EU-Ratspräsidentschaft ihr Engagement für die Kinderrechte in der Welt bekräftigt. In Guinea könnte sie dieses Engagement einlösen.“