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Archiv-Artikel

Rechter Aufmarsch völlig außer Kontrolle

JUSTIZ Neonazis verprügelten Gegendemonstranten. Fünf Angeklagte stehen nun vor Gericht

„Wir wurden von den Nazis einfach überrannt“, sagt der Zeuge und Nebenkläger Patrick L. am Montag vor dem Jugendgericht in Berlin. Es geht um den 14. Mai 2011: Ein Neonazi-Aufmarsch am Mehringdamm gerät außer Kontrolle, die Aufmarschteilnehmer greifen mehrere Menschen an und verletzten sie zum Teil schwer. Der erste Prozess in diesem Zusammenhang wurde nun eröffnet. Angeklagt sind fünf Männer, damals noch unter 21 Jahre alt, denen schwere Körperverletzung vorgeworfen wird.

Einen Plan gab es nicht

Patrick L. und drei weitere Zeugen, die an diesem Mittwoch vor dreieinhalb Jahren gemeinsam unterwegs waren, berichten übereinstimmend von den Ereignissen. Es habe Gerüchte gegeben, dass in Kreuzberg eine Neonazi-Demonstration stattfinden solle, daraufhin seien die vier zum Mehringdamm gefahren. Dort war die Situation ruhig: Von der Polizei abgeriegelt sammelten sich die Neonazis, eine Blockade von mehreren hundert GegendemonstrantInnen stand bereits auf der Kreuzung. „Wir haben uns ein Eis gekauft und uns auf die abgesperrte Straße gesetzt“, sagt Patrick L. „Wir wollten erst mal abwarten, einen größeren Plan gab es gar nicht“, sagt der Zeuge Jonas S.

Ihr Eis konnten die vier nicht mehr zu Ende essen. Die Polizei hatte den Neonazi-Aufmarsch in den U-Bahnhof Mehringdamm geführt, „um die Gegendemonstration zu umgehen“, wie ein Polizeizeuge aussagt. Offenbar hatten die Beamten die Situation dabei gewaltig unterschätzt: „Die Demonstration ist nicht der Führung durch die Polizei gefolgt, sondern hat einen anderen Ausgang genommen“, berichtet ein weiterer Polizeizeuge. Dort habe er mit nur zwei weiteren Kollegen gestanden. „Wir haben versucht, die anderen Kräfte zu uns zu funken, aber wir hatten an diesem Tag große technische Probleme“, sagt er.

Das Ergebnis: Die Neonazis können sich ungehindert formieren und stürmen los, ohne auf die Stopp-Rufe der Polizei zu achten. Nach wenigen Metern ist der Aufmarsch bei Patrick L. und seinen drei Freunden angelangt, die auf der Straße sitzen. Sie werden von den Aufmarschteilnehmern nicht nur überrannt, sondern auch getreten und geschlagen. Auf den Videoaufzeichnungen ist zu sehen, wie die Neonazis regelrecht auf die am Boden kauernden Menschen springen, immer wieder wird zugetreten.

Als es der Polizei endlich gelingt, die Situation unter Kontrolle zu bringen, haben zwei der vier Opfer bereits ernste Verletzungen erlitten und müssen mit Blutergüssen, Abschürfungen und Verdacht auf Schädelbasisbruch ins Krankenhaus. Die Neonazis werden von der Polizei schließlich nach Rudow eskortiert. Im Vorfeld des Aufmarschs hatte es bereits viel Kritik an der Polizei gegeben, weil diese die Route der Neonazis bis zum Schluss geheim gehalten hatte.

Die fünf Angeklagten wollen sich nicht äußern. Vertreten werden sie unter anderem vom bundesweit bekannten Nazi-Szeneanwalt Thomas Jauch. Nächsten Montag soll weiter verhandelt werden. MALENE GÜRGEN