: Neunzig Jahre alter Sprengstoff
Homosexualität auf einer Theaterbühne von Taschkent? Der usbekische Regisseur Mark Weil dramatisiert ein historisches Reizthema
VON ELISABETH WELLERSHAUS
Über die Initiative der Kinderbeauftragten der polnischen Regierung, die Teletubbies wegen prohomosexueller Propaganda zu verbieten, kann Mark Weil sich amüsieren. „Herrlich surreal“, lacht der usbekische Regisseur, während er in einem Jerusalemer Theaterfoyer auf seine Schauspieler wartet. Doch er wird gleich wieder ernst. Absurde Debatten zum Thema Homosexualität musste auch er in den letzten Jahren häufig führen. Die Diskussionen, die seine Inszenierung um einen schwulen Koranschüler auslöste, lassen ihn auch Jahre nach der Uraufführung noch staunen. „Selbst hier in Israel ist die Homosexualität in ‚Weißer, weißer, schwarzer Storch‘ das große Thema. Aber hier interessiert man sich immerhin auch für den muslimischen Hintergrund. Meist wollen die Leute nur wissen, wie ich eine homosexuelle Figur in Taschkent überhaupt auf die Bühne bringen konnte. Dabei ging es mir ursprünglich gar nicht um die Provokation, sondern um die Auseinandersetzung mit dem usbekischen Autor Abdullah Qodiriy.“
Weils avantgardistisches Ilkhom Theater stieß auf Qodiriys Roman „Knabenliebe“ aus dem Jahr 1915. Mit Büchern wie diesem hatte der Schriftsteller sich einst bei der russischen Obrigkeit unbeliebt gemacht. 90 Jahre später weckt der Versuch, Qodiriy zu rehabilitieren, nach wie vor den Argwohn der usbekischen Kulturbehörden. Das Stück verhandelt die Probleme junger Menschen in Usbekistan und konzentriert sich dabei auf diejenigen, die in einem rigiden sozialen Umfeld außerhalb der Norm stehen. Durchaus derbe Töne schlägt der Dramatiker Jolkin Tuichiew bei der Bearbeitung von Qodiriys Texten an. Doch Weils Inszenierung sorgt dafür, dass die Reizthemen hinter einer märchenhaften Szenerie verschwinden.
Maxzum, die Hauptfigur, lebt im Usbekistan des frühen 20. Jahrhunderts. In der Koranschule lernt er einen Jungen kennen, in den er sich verliebt. Als sein Vater beide bei einem heimlichen Kuss erwischt, drängt er den Sohn in eine ungewollte Ehe. Wenig später endet alles in einer Katastrophe. „Unsere Geschichte steht exemplarisch für die Ängste und Wünsche der jungen Generation“, betont Weil. „An der Figur des Maxzum wird ihr komplexes Verhältnis zu Tradition und Moderne nachgezeichnet, die Forderungen der älteren Generation und die Bedürfnisse der jüngeren werden einander gegenübergestellt. Die Suche nach alternativen Identitäten ist nämlich im unabhängigen Usbekistan so aktuell wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts – nachdem wir durch die ethnische Teilung Mittelasiens auseinandergerissen wurden.“
Das Publikum des Israel Festivals applaudiert begeistert und bestürmt das junge Ensemble mit Fragen. Das Bierglas in der einen, Zigarette in der anderen, die obligatorische Spiegelbrille im Haar und die Jeans etwas zu tief sitzend, wirken die jungen usbekischen Schauspielstars unglaublich glamourös. Und ein wenig androgyn. Doch Fragen nach der eigenen Sexualität werden geflissentlich überhört.
Mehrere Jahrhunderte lang wurde die gleichgeschlechtliche Liebe in Mittelasien ohne großes Aufsehen praktiziert. Verboten wurde sie in Usbekistan erst in den 1920er-Jahren. Ein Verbot, das 1933 unter Stalin mit dem Paragrafen 120 besiegelt wurde. Nach seiner Machtübernahme bemühte sich die KP nach Kräften, Homosexuelle gesellschaftlich zu diskreditieren. In Ländern wie Usbekistan hatte dies paradoxe Auswirkungen. Einerseits zitierte man plötzlich fälschlicherweise den Koran als Quelle des Verbots, andererseits galt homosexuelle Liebe den Sowjets als entartetes Laster des Kapitalismus.
Qodiriy wurde 1938 unter Stalin hingerichtet. Knapp 70 Jahre später lebt es sich als Homosexueller in Taschkent noch immer gefährlich. Eines der bekanntesten Opfer der Repressionen der vergangenen Jahre war ein junger Journalist der russischen Nachrichtenagentur Prima. Ruslan Scharipow wurde 2003 verhaftet, angeklagt, gefoltert und zu mehrjähriger Haft verurteilt. Im Juni 2004 wurde er vorzeitig aus der Haft entlassen und konnte in die USA fliehen, wo er politisches Asyl erhielt. Die Anklage berief sich auf Paragraf 120, der die „gewaltfreie Befriedigung des Sexualtriebes zwischen zwei Männern“ mit einer Gefängnisstrafe ahndet. Die Anklage gegen den regimekritischen Journalisten ist eines von vielen Beispielen dafür, wie der Paragraf 120 missbraucht wird, um aufmüpfige Bürger gefügig zu machen.
„Dass der Paragraf bei uns bis heute in Kraft ist“, ereifert sich Weil, „ist ein Unding. Die Russen haben ihn in den 90ern abgeschafft. Wir nicht. Wer beim Justizministerium nachfragt, erhält immer dieselbe Antwort: ‚Das Gesetz wird doch gar nicht mehr angewandt.‘ Was spräche also dagegen, es zu streichen?“ Doch genau das geschieht nicht. Polizisten nehmen Personen aufgrund von Spekulationen über ihre sexuellen Neigungen fest, Erpressungen sind an der Tagesordnung. „Das ist ein furchtbarer Zustand und zeigt das ganze Ausmaß unseres korrupten Systems.“
Auch lesbische Frauen sind von den Repressionen betroffen. Aufgrund der traditionellen Strukturen in Usbekistan ist ihr gesellschaftliches Leben deutlich reglementierter als das der Männer – ein Ausbrechen aus einer vorherbestimmten Ehe ist für Frauen so gut wie undenkbar. Hinzu kommt eine unter dem Deckmantel des Islam gerechtfertigte Diskriminierung von Frauen. Und schließlich die Tatsache, dass auch sie das Homosexualitätsverbot trifft.
Bis vor kurzem war Frauenliebe öffentlich kein Thema. Sie existierte ganz einfach nicht. „Ein ganz klassisches Verhalten innerhalb unserer Gesellschaft“, ärgert sich Weil. „Das Motto lautet schlicht: ‚Tu, was du nicht lassen kannst, aber tu es bitte nicht öffentlich.‘ Ein Coming-out geschieht hier eigentlich immer hinter verschlossenen Türen. Höchstens in Künstler- und Intellektuellenkreisen bekennen sich Homosexuelle zu ihren Neigungen.“
Weil und sein Ensemble wollen dazu beitragen, dass sich auch der Rest der Bevölkerung für das Thema öffnet. Doch alles braucht seine Zeit. Das meint zumindest die Mittelasienexpertin Sigrid Kleinmichel: „Wir hatten unsere 68er, und selbst die haben die Homosexualität nicht flächendeckend salonfähig gemacht. Lassen wir den Usbeken also auch ein wenig Zeit, die Dinge auf ihre Art zu regeln.“
Festivaldirektor Yossi Tal-Gan hat in Jerusalem zum Empfang für seine internationalen Gäste geladen. Ein österreichischer Kammerchor versperrt den Weg zum Buffet, ein italienisches Orchester plaudert mit den israelischen Technikern. Mittendrin bemerkt man wieder ein paar verspiegelte Sonnenbrillen. Liegt es an den perfekt gegelten Frisuren, dass die usbekischen Schauspieler neben den restlichen Festivalteilnehmern funkeln wie kleine flimmernde Sternchen? Nur im Gespräch über die eigene Arbeit wirken sie so bodenständig wie das deutsche Puppentheater vom Vorabend. Auf einmal ahnt man, wie viel das Stück mit der Realität der Darsteller zu tun hat. Wie Maxzum scheinen diese jungen Männer zwischen den Welten zu stehen, zwischen den Erwartungen des westlichen Publikums und den Restriktionen im eigenen Land, zwischen der komplexen ethnischen (meist russisch-usbekischen) Prägung und einer Heimat im Umbruch. Inmitten des Trubels stehen die Schauspieler an die Wand gelehnt und rauchen. Und dabei machen sie eine erstaunlich gute Figur.
ELISABETH WELLERSHAUS, 32, lebt als freie Autorin und Übersetzerin in Berlin