: Wir reden hier von Topstars!
Freunde der neuen Berliner Kunsthalle diskutierten auf dem 52. Kultursalon über die Situation der Gegenwartskunst. Symptomatisch, dass sie sich die heimische Kunstlandschaft von einem New Yorker Kurator erklären lassen mussten
Das entscheidende Wort fiel an diesem Donnerstagabend eher nebenbei. Und es wäre wohl überhört geblieben, wenn nicht Alice Ströver, kulturpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, so ganz und gar unüberhörbar wäre. Das Wort des Abends hieß „Kommunikationsszene“. Und es passte auf alles.
Es passte auf das Werben um eine temporäre Kunsthallennutzung auf dem Schlossplatz, respektive der Palastbrache. Nicht zufällig wird diese Debatte ja vom Kunstmagazin Monopol, einem Kommunikationsmedium, befeuert. Es passte auf die gegenwärtige Leidenschaft, verbale Manifestationen zu Wesen und Wert zeitgenössischer Kunst in und aus Berlin abzugeben. Und vor allem auf die Gesprächskultur der Diskussionsgäste dieses 52. Kultursalons – es sollte ein Reden in feinen, aber zentralen Unterschieden werden.
Unter der Überschrift „Vernachlässigte Zeitgenossen? Zu Situation und Perspektive der Gegenwartskunst“ waren Nele Hertling, Vizepräsidentin der Akademie der Künste, Ursula Prinz, stellvertretende Leiterin der Berlinischen Galerie, Ingolf Kern, Stellvertreter der Chefredaktion des Monopol-Magazins, und Coco Kühn, Künstlerin, Palastzwischennutzerin und Initiatorin des einen von zwei Kunsthallenkonzepten in einen nur buchstäblich überhitzten Roten Salon gekommen. Nicht dabei waren Katja Blomberg, Leiterin des Hauses am Waldsee, und leider auch der Kunst(kritik)publizist Marius Babias. Beide hatten kurzfristig abgesagt. Aber das war wohl nicht der Grund, warum Alice Ströver eines an diesem Abend garantiert nicht war: die angekündigte Moderatorin nämlich. Mitteilungsbedürfnis nennt man so etwas wohl.
Andere waren da schweigsamer. Und so wurden in einer eineinhalbstündigen Debatte um und über Orte zeitgenössischer Kunst in Berlin die Kunstwerke, der Neue Berliner Kunstverein, die NGBK und das Künstlerhaus Bethanien exakt einmal genannt. In der Frage nämlich, ob denn jemand etwas zu diesen Orten sagen wollte. Nein, es wollte keiner. Schließlich sollte es an diesem Abend, so Ingolf Kern, um Größeres gehen: „Wir reden hier von Topstars, die der Stadt jede Menge Geld einbringen, nicht von Leuten, die in Hinterhöfen irgendwelche rostigen Störche zusammenschweißen.“
Und so wurde die Diskussion um einen Ort für zeitgenössische Kunst mehr als nur subkutan auch zu einer Diskussion über den zeitgenössischen Künstler in einer – man musste es an diesem Abend so nennen – Berliner Republik. Geht es nun um die „Topstars“ (Ingolf Kern), die „in Berlin Wohnungen kaufen“ (Nele Hertling) und für deren Ausstellungen man „nach Bielefeld oder Braunschweig fahren muss, was mich jedes Mal beschämt“ (Kern)? Oder geht es um die Künstler, „die in Berlin günstige Räume finden“ (Coco Kühn), weil „Berlin selbst das beste Atelierprogramm ist“ (Kern)? Mindestens Ingolf Kern hätte gerne beides gleichzeitig. Junge Sterne, die explodieren, Glamour und Rendite. Und, ach ja, auch Qualität. Dass die Monopol-Kunsthalle, diese Wolke der Architektengruppe Graft, tolle Ausstellungen bescheren würde, davon ist wohl auszugehen.
Und alle wollen diese temporäre Kunsthalle. Oder die andere, einfachere, günstigere. Den White Cube, für den sich eben Coco Kühn engagiert. Zumindest saßen nur Kunsthallenfreunde an den Kultursalonmikrofonen. Wären ja beides ohnehin rein privat finanzierte Projekte – was zum semantischen Kern dieser abendlichen Kommunikationsszene in der Volksbühne führt. Denn während Nele Hertling selbiges als „zivilgesellschaftliches Engagement“ benennt, sprechen Kühn wie Kern lieber von „neuen bürgerlichen Initiativen“. Gemeint ist dasselbe und doch das Gegenteil. Hier ein Kulturaltruismus und dort die bourgeoise Boheme. Dort eine Ethik, hier ein Lebensstil, Neokommunitarismus sozusagen.
Ein Berliner Ort zeitgenössischer Kunstrepräsentation kam übrigens doch noch zu überraschenden Ehren. Da hat doch ein Kurator des MoMA Ingolf Kern auf der Art Basel auf die tollen Ausstellungen des „Kunstvereins Nord“ angesprochen. Zwar heißt der Kunstverein Tiergarten und bespielt die Galerie Nord. Die Ironie steckt aber in einem anderen Detail: Ausgerechnet jene, die immer beschwören, Berliner Künstler müssten erst von Galerien in London oder New York eingekauft werden, um in Berlin etwas zu gelten, lassen sich die heimische Kunstlandschaft von New Yorker Kuratoren erklären.
CLEMENS NIEDENTHAL