Nicht einfach nur der nächste Club

KULTURRAUM Das Urban Spree auf dem RAW-Gelände will Labor für Straßenkunst und experimentellen Pop sein. Macher Pascal Feucher war einst Investmentbanker, heute ist er gefragter Street-Art-Kurator

Wer mal durch polnische Städte wie Katowice oder Warschau gefahren ist, dem wird aufgefallen sein, dass Street Art bei unseren Nachbarn ein wesentliches Element städtischer Kultur ist. Um die polnische Szene, die inzwischen weltweit beachtet wird, zu würdigen, ist nun auch in Berlin die Ausstellung „Polish Urban Art“ zu sehen, die durch sieben ost- und westeuropäische Städte tourt. Mehr als 20 polnische Graffiti- und Street-Art-Künstler sind beteiligt. Die Vernissage, bei der der stilsichere Berliner Exilpole Jemek Jemowit auflegt, verspricht Amüsement. JUT

■ Polish Urban Art: Urban Spree, Revaler Str. 99, Vernissage: 13. 11., 18 Uhr, Ausstellung: 14.–16. 11., 12 bis 19 Uhr

VON JENS UTHOFF

Verdrogte Nachtschwärmer, Touristen und Passanten reiben sich auf dem Weg zur S-Bahn ungläubig die Augen: Vom RAW-Gelände strahlt ein knalliges Pink bis oben an die Warschauer Straße. Ein deutliches Zeichen: Das Urban Spree will gesehen werden. Auf der grellpinken Außenwand des Kulturraums auf dem RAW-Gelände prangen übergroß Hammer und Sichel in Neongelb – fertig ist die Pop-Variante der alten Sowjetflagge. Beziehungsweise: das Kunstwerk. Fädenweise läuft die Farbe von den Konturen des Logos nach unten.

Für das markante Stück Straßenkunst ist der französische Street-Artist Zevs verantwortlich. Bekannt wurde er durch verschiedene Formen von Street-Art-Guerilla – unter anderem, indem er 2002 aus einer großen Außenwerbung am Alexanderplatz das Model herausschnitt und Lösegeld forderte (die Firma zahlte am Ende eine halbe Million an ein Pariser Kunstmuseum). Genauso kennt man Zevs für seine „Liquidation“-Technik mit verlaufender Farbe, der nun anlässlich des Mauerfalls die UdSSR-Flagge zum Opfer fiel.

Fixpunkt für Street-Art

Geladen hat ihn das Urban Spree, eine Location, die Ausstellungsraum und Konzertort zugleich ist und auf dem RAW-Gelände liegt. Es ist kein Zufall, dass es den Machern – namentlich Pascal Feucher und Nico Defawe – gelang, einen der großen Namen der Szene für den Termin zu gewinnen: Seit knapp zwei Jahren arbeiten sie daran, einen Kulturort zu schaffen, den es so in Berlin noch nicht gab und der unter anderem Fixpunkt für Street-Art an der Spree sein will.

Mit ihrem Programm, das Foto-, Graffiti- und Siebdruck-Ausstellungen beinhaltet und das im Musikbereich auch Raum für Drone, Düsteres und Experimentelles gibt, stehen sie in merkwürdigem Kontrast zu dem Touristentreiben und dem Party-Berlin, das aus Richtung des Bahnhofs Warschauer Straße gen Friedrichshain einfällt. „Von den Touristenmassen kriegen wir hier nicht so viel mit“, sagt Feucher, „dazu sind wir vielleicht ein bisschen zu nischig.“ Die meisten Besucher kommen nicht zufällig, sondern weil sie von der Galerie gehört hätten.

Seit Dezember 2012 betreiben die beiden Franzosen das Urban Spree. Die Galerie ist zweigeteilt – in einem Bereich gibt es einen Shop, in dem anderen laufen die Ausstellungen. Der Konzertraum, der 250 Besucher fasst, befindet sich im anderen Gebäudeteil. Hier hat auch Dolly Demoratti ihr Siebdruckatelier, die in den vergangenen Jahren das „Druck Berlin“-Festival kuratierte. Der Eintritt zu den Ausstellungen im Urban Spree ist immer frei, auch bei der gerade eröffneten Schau zu Urban Art in Polen (siehe Kasten).

Öffentliche Gelder erhält das Urban Spree nicht. „Geld verdienen wir über den Shop und den Biergarten“, sagt Feucher. Im Biergarten vor dem Gebäude, das zu Zeiten des Reichsbahn-Ausbesserungwerks (RAW) Ausbildungsstätte für Lokführer war, ist Platz für mehrere hundert Leute. Während Feucher sich vorrangig um die Galerie kümmert, ist Defawe für das Booking und die Konzerte zuständig. In der Berliner Musikszene treibt sich der 44-Jährige herum, seit er vor sieben Jahren aus Paris hierherzog. Er war Mitgründer des HBC in der Karl-Liebknecht-Straße, das vor gut zwei Jahren schloss. Nach einer Zwischenstation im Plus Minus Zero am Ostbahnhof fand er zusammen mit Feucher diesen „perfekten Ort“, wie beide ihn nennen, in dem nun etwa zweimal wöchentlich Konzerte stattfinden, die vor allem den tiefsten Underground und die Nischen- und Randprodukte aus Rock und Elektro auf die Bühne bringen.

Auf so manchem Konzert träfe schon mal Gothic- und Hipster-Publikum aufeinander, sagt Feucher, der gebürtig aus Paris stammt. „Genau dieses Zusammentreffen von Leuten, die man nicht gemeinsam an einem Ort vermuten würde, interessiert uns“, sagt er.

Der Macher: Exbanker

Das Urban Spree will ein Kulturort sein, den es in Berlin so noch nicht gab

Feuchers berufliche Karriere ist bemerkenswert: Bevor er vor zweieinhalb Jahren nach Berlin kam, war er Geschäftsführer der Private-Equity-Abteilung bei Sal. Oppenheim in Paris – man könnte auch „Investmentbanker“ sagen. „Dann dachte ich, es sei an der Zeit zu überlegen, was ich eigentlich in meinem Leben wirklich machen will.“

Die Kontakte zur Street-Art-Szene baute Feucher auf, nachdem er den Bankerposten hinschmiss. Inzwischen ist aus dem Urban Spree ein Labor für alles Mögliche geworden: Wirft man einen Blick auf das Programm, finden sich da wissenschaftliche Podiumsdiskussionen genauso wie Kinoabende, Magazin-Launch-Partys ebenso wie etwa ein „Genussfestival“.

Nur ein weiterer Club möchte man nicht werden, die Galerie soll Herzstück bleiben. Feucher, ein gemütlicher Typ mit Vollbart, der einen grauen Kapuzenpulli mit neongelben Bändern trägt, glaubt, Berlin sei derzeit in Sachen Street-Art wieder im Kommen: „In Berlin arbeiten die Talente, die bald schon große Namen sind“, sagt er.

Zevs, der ebenfalls gerade in Berlin lebt, hat sich bereits einen Namen gemacht und hat mit dem Verfremden von Logos ein eigene künstlerische Marke entwickelt (und erzielt mit Originalen auch hohe Preise). Seine Identität hält der Künstler geheim. Für ihn ist es bei seinen Interventionen im öffentlichen Raum – er „erschoss“ auch Models auf Werbeplakaten mit Farbe – „entscheidend, mit dem bereits Existierenden zu arbeiten und dessen Bedeutung auszuweiten“. Die Mittel dazu sind auch mal unkonventionell an der Grenze zu spießig: Damit die grelle Farbe auf der Wand des Urban Spree trocken wird, (um dann Hammer und Sichel auftragen zu können), griffen der Franzose und seine Helfer zum Föhn.